Totenmond
Einsatzleiter et cetera. Am Kopfende der Runde nahm Veronika Martens Platz, rückte ihr Namensschild auf dem Tisch zurecht und nickte einem Beamten zu, den Alex nicht kannte. Der Mann startete einen Laptop, der an einen Beamer angeschlossen war. Der Beamer zielte auf die fest installierte Projektionsfläche, die an der Wand hinter Veronika von Lautsprechern eingefasst wurde.
»Feindliche Übernahme«, flüsterte Schneider zu Alex. »Reineking ist total angepisst.«
»Da ist er nicht der Einzige. Ich muss dir noch etwas sagen, Rolf …« Alex startete erneut einen Versuch, ihm von den Briefen zu erzählen, ob er ihr nun zuhören wollte oder nicht, als Veronika Martens aufstand.
Sie stemmte sich mit den Händen auf die Tischplatte und sagte in die Runde: »Okay, ich denke, wir fangen dann mal an, auf uns wartet eine ganze Menge Arbeit, Kollegen.«
Sofort erstarben die Gespräche, und alle Augen richteten sich nach vorne.
»Falls es einige noch nicht wissen: Mein Name ist Veronika Martens. Ich leite die Kommission. Herzlichen Dank an die Lemfelder Kollegen für die bisher geleistete tadellose Arbeit. Ich habe einige Kollegen aus Düsseldorf mitgebracht und einige weitere gewinnen können, mit denen ich bereits erfolgreich zusammengearbeitet habe. Vielleicht besteht im Anschluss noch die Möglichkeit, einander ein wenig zu beschnuppern, und …«
»Beschnuppern«, murmelte Schneider und verzog das Gesicht. Reineking starrte weiter auf seine Papiere.
Die Tür ging auf. Zwei Männer kamen herein.
»Oh«, machte Veronika.
Die Männer nickten in die Runde. Der Mann mit Glatze und kunstvoll gezwirbeltem Schnurrbart trug unter seinem Sakko einen grasgrünen Pullover und war an die sechzig Jahre alt. Dieter Möbius, Chef der Lemfelder Polizeibehörde. Er stand auf schrille Farben. Der andere trug einen gutsitzenden Anzug und eine breite Krawatte. Er reichte Veronika routiniert und mit einem jovialen Lächeln die Hand. Seine schwarzen Haare waren dicht und wirkten gefärbt. Feine rote Äderchen zogen sich in Mustern über die Wangen.
»Entschuldigen Sie bitte die Störung«, sagte Landrat Heinz Lücking und lächelte ein professionelles Politikerlächeln. Lücking war als Chef der Lemfelder Kreisverwaltung sozusagen der oberste Polizist. Alex kannte ihn vom Tag der offenen Tür und natürlich aus der Zeitung. Von Lücking hieß es, er lasse sich kaum eine Gelegenheit entgehen, das Gesicht in die Linse einer Kamera zu halten.
Lücking fuhr fort: »Herr Möbius und ich möchten nur kurz die Gelegenheit beim Schopf ergreifen, Ihnen eine glückliche Hand bei den Ermittlungen in diesem grässlichen Mordfall zu wünschen, der uns alle mehr als betroffen macht. Ich möchte aber auch die Möglichkeit nutzen, eine angenehme Mitteilung zu überbringen. Ihnen allen ist bekannt, dass wir seit vergangenem Sommer eine Vakanz in der Leitung der Direktion Kriminalität haben. Diese Lücke wird Frau Veronika Martens füllen. Sie wird offiziell erst zum Januar in die Leitungsposition wechseln, hat sich aber direkt in die Arbeit stürzen wollen. Die Formalitäten«, Lücking tippte auf die rote Mappe unter seinem Arm, »sind bereits geregelt, und ich denke, zu einem feierlichen Akt werden wir im neuen Jahr ausreichend Gelegenheit haben – und dann hoffentlich auch gemeinsam darauf anstoßen, dass der laufende Fall glücklich abgeschlossen worden ist.«
»Ging ja schnell jetzt«, flüsterte Schneider.
Alex schluckte und blickte in die erstaunten Gesichter der Kollegen. Viele hatten es bereits geahnt, aber mit einer solchen Bescherung ausgerechnet zu Weihnachten hatte niemand gerechnet. Reineking saß starr da. Sein Adamsapfel hüpfte beim Schlucken auf und ab.
»So«, sagte Lücking, »dann drücke ich Ihnen die Daumen und wünsche Ihnen und Ihren Familien trotz der traurigen Umstände frohe Weihnachten.«
Vereinzelt klopften Beamte mit den Knöcheln auf den Tisch – zumeist welche, die zu Veronikas Truppe gehörten. Dann schloss sich die Tür. Lücking und Möbius waren so schnell wieder verschwunden, wie sie aufgetaucht waren.
Veronika lächelte freundlich in die Runde und zuckte mit den Achseln. »Okay, das war jetzt eigentlich nicht so geplant – doch jetzt ist es raus.« Sie warf einen Seitenblick zu Reineking, der diesen nicht erwiderte. »Ich stehe zwar der Sonderkommission vor, die Ermittlungen laufen aber weiter beim Kollegen Reineking zusammen, der die Direktion Kriminalität so lange kommissarisch weiter leitet,
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