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Totenmond

Totenmond

Titel: Totenmond Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sven Koch
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Mia rollte mit den Augen, »… manchmal ist er voll der Spießer.«
    »Wahrscheinlich sind das alle Väter von Töchtern. Weil sie nur das Beste wollen und meinen, sie müssten ihre Mädchen beschützen.«
    Mia nickte lächelnd. »Und du bist wirklich Polizistin und Psychologin?«
    »Ja. Aber jetzt gerade nicht. Jetzt bin ich nur Alex.«
    »So wie in CSI?«
    Alex kräuselte die Nase. »Ein minikleines bisschen.«
    »Hast du schon Tote gesehen?«
    »Mehr, als mir lieb ist.«
    Mias Augen weiteten sich. »Echt?«
    Alex nickte.
    »Und die Narbe da?« Mia streckte die Hand aus, wagte es aber nicht, mit einem ihrer schwarzlackierten Fingernägel Alex’ Wange zu berühren.
    Alex winkte ab. »Nur ein schlecht verheilter Kratzer. Mir hat mal jemand gesagt, das würde mir einen gefährlichen Look verleihen.«
    »Es gibt auch viele Narben, die man nicht sehen kann«, sagte Mia leise.
    »Das stimmt.« Alex schwieg einen Moment, um Mia Raum zu geben, falls sie noch etwas anfügen wollte. »Meist«, sagte Alex dann, »ist es diese Art von Narben, für die man selbst am wenigsten kann, die einen aber am stärksten prägen.«
    Mia blickte zu Boden. Dann winkte sie schwach ab und sagte: »Egal. Habe ich nur so gesagt – wie man das eben so sagt. Blabla.«
    »Ich weiß, dass man solche Narben auch schon mit siebzehn Jahren kennt.«
    Mia kicherte und verwandelte sich mit einem Schlag wieder in ein kleines Mädchen. »Wie, du warst mal jung?«
    Alex gab ein gespielt empörtes »Pah« von sich und sagte: »Ich war schon auf der Love-Parade, als du noch nicht mal geboren warst.«
    »Du und Love-Parade? Wie geil ist das denn?«
    »Cops lügen nicht. Aber: Pscht.« Alex legte einen Finger an die Lippe. »Das bleibt unser Geheimnis.«
    »Krass.« Im Treppenhaus waren das Knallen der Haustür und Schritte zu hören. »Ich finde, du bist echt cool, Alex.« Die Worte gingen runter wie ein Schluck heißer Glühwein. »Wäre schön, wenn das mit euch klappt.«
    Alex ging wortlos auf Mia zu und drückte sie. »Das fände ich auch sehr schön, Mia.«
    Die Wohnungstür öffnete sich und fiel mit einem Rums wieder zu. »Pizza«, rief Jan und balancierte mit den Kartons an Alex vorbei in die Küche.
    Mia klatschte in die Hände und huschte ihrem Vater hinterher. Hannibal schaute fragend aus dem Wohnzimmer und trottete auf den Flur, um Alex schnurrend um die Beine zu streichen. Sie beugte sich hinab und kraulte ihn zwischen den Ohren, bevor sie ebenfalls in die Küche ging, wo eine Pizza Hawaii und ein Glas Wein auf sie warteten.
    Was war das hier?, fragte sie sich beim Hinsetzen. Eine Wohnung, die nicht ihre und in der ihr noch nichts vertraut war. Ein Fastfood-Abendessen mit einem Teenie und einem Mann, mit dem sie seit kurzem schlief. Und trotzdem fühlte es sich richtig an. So wie ein Pullover, den man jahrelang nicht mehr getragen hatte und plötzlich neu für sich entdeckte.
    Jan sah zufrieden zwischen Mia und Alex hin und her. Er zwinkerte Alex zu. Sie schenkte ihm ein Lächeln. Draußen fielen vereinzelte Schneeflocken in die Lichtkegel der Straßenleuchten. Ein Auto schnurrte vorbei. Das Geräusch drang wie durch Watte zu Alex. Die Stadt sah aus, als ruhte sie unter einem weißen Tuch, das hell in der Dunkelheit strahlte. Der Mond war aufgegangen.

59.
    D er Mann stand in einer dunklen Hausecke und sah hinauf zu dem hell erleuchteten Fenster. Weiße Flocken hafteten auf den Schultern seines Mantels. Ein Auto fuhr langsam an dem Mini vorbei, den die Jägerin zwischen aufgetürmten Eisbrocken geparkt hatte. Der Schnee dämpfte das Motorengeräusch des Wagens, der hinter der nächsten Straßenecke abbog. Der Schnee dämpfte alles. Wie eine Decke.
    Der Mann ballte die Hände vor seinem Mund zu einem Trichter und hauchte hinein. Ein trautes Idyll, dachte er. Ein geborgtes Glück, das er selbst nie erleben durfte. Und da war dieses Mädchen. Mia. Ein Kind noch, das an der Schwelle zur Frau stand.
    Der Mann schüttelte verständnislos den Kopf. Glaubte die Jägerin, sie könne sich einfach so eine Familie nehmen? Und ein Kind dazu? Eines, das bereits fix und fertig war und keine Probleme machte? Redete sie sich ein, Muttergefühle ließen sich einfach so herbeizaubern? Nein, der Mann wusste es besser. Viel besser. Er hatte seine Lektion gelernt, und er war bereit, etwas von seinem Wissen weiterzugeben an die Jägerin.
    Er ließ die Hände wieder in den Manteltaschen verschwinden. Die Jägerin wollte Mutter sein. Nun, das verlieh dem Spiel eine

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