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Totenmond

Totenmond

Titel: Totenmond Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sven Koch
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neue Note. Mischte die Karten neu. Brachte einen neuen Spielstein auf das Brett, ermöglichte eine neue Variante. Es wäre interessant, herauszufinden, wie ernst es der Jägerin war. Es wäre dazu erforderlich, ihr vor Augen zu führen, was Muttergefühle waren und was nicht. Dann würde sie ihn noch besser verstehen können.
    Seine Gedanken drifteten dahin, verloren sich in einem Wirrwarr, in Erinnerungssplittern, Bildern und Wortfetzen. Mit verschleiertem Blick sah er wieder zum Fenster und glitt zurück ins Hier und Jetzt. Denn zunächst galt es, etwas anderes zu erledigen. Futter für den Bohfimah zu besorgen.
    Die Schritte des Mannes knirschten im Schnee.

60.
    N a toll, dachte Jenny und sah erst auf die Uhr und dann auf ihr Handy. Immer noch keine SMS von ihm. Nichts.
    Sie bestellte sich noch einen Mojito. Den dritten. Na und? Würde sie sich eben betrinken. Die beste Antwort darauf, wenn man versetzt worden war. Die White Stripes hämmerten Seven Nation Army aus den Boxen des Jacks. Der hypnotische Basslauf verschmolz mit dem Lachen, Gläserklirren und Gesprächsfetzen in der übervollen Kneipe, die ganz in Weiß eingerichtet war. Kronleuchter im Retro-Stil der siebziger Jahre hingen an der Decke und Barbarella -Plakate an den mit geometrisch gemusterten Tapeten beklebten Wänden. Die Luft war heiß und stickig.
    Jenny starrte auf die Tropfen, die ihr letzter Cocktail auf dem Tresen der Bar hinterlassen hatte. Sie zeichnete mit dem Zeigefinger darin herum, stützte das Kinn in die Hand und kaute gelangweilt an einer Haarsträhne. Leise klirrten die Eiswürfel in dem Mojito, der ihr hingeschoben wurde. Jenny nickte der Bedienung dankend zu – irgendein Typ mit Dreitagebart, dessen Gesicht mit den Lichtern und Reflexionen der Spiegel wie in einem Kaleidoskop verschmolz. Sie sah erneut auf das Handy. Es war, als würde sie durch ein umgedrehtes Fernrohr blicken, und sie musste die Augen etwas verengen, um zu erkennen, dass sich nichts auf dem Display verändert hatte.
    Jenny fasste nach dem eiskalten Glas und leerte es mit drei kräftigen Schlucken nahezu bis zur Hälfte. Der klare Rum entfachte ein Feuer in ihrer Speiseröhre.
    Wahrscheinlich hatte der Arsch es sich anders überlegt, hatte eine andere zum Vögeln gefunden. Er hatte sie abgemeldet, weggeschoben, stehengelassen, den Vertrag gekündigt und nicht verlängert. Nicht dass sie das nicht gewohnt wäre. Sie hatte ihre Erfahrungen damit, ungewollt zu sein. Schon ihre Eltern hatten sie abserviert und fortgegeben. Eltern – von wegen. Irgendwelche Leute. Fremde. Keine Ahnung.
    Jenny trank noch einen tiefen Schluck und seufzte. Trotzdem war es hart, aufs Abstellgleis gestellt zu werden. Es fühlte sich komplett beschissen an und schmerzte wie ein Tritt mitten in ihr vernarbtes Herz.
    »Tut es weh?«, fragte eine Stimme neben ihr.
    »Was?«
    Sie wirbelte herum. Die hastige Bewegung schien Schlieren nach sich zu ziehen. Wie bei einem Schwenk der alten Röhrenkameras in TV-Sendungen aus den Siebzigern. Im ersten Augenblick dachte sie, er sei doch noch aufgetaucht und stünde nun neben ihr. Und in gewisser Weise wies der Mann, der sie angesprochen hatte, Ähnlichkeiten mit ihm auf – ein spöttischer Zug um den Mund, das Alter, die Augen, und er war ebenfalls recht attraktiv. Ihr Blick hielt sich an seinem Gesicht fest.
    »Du trinkst deinen Cocktail wie Mineralwasser. Du siehst traurig aus und schaust andauernd auf dein Handy. Du bist versetzt worden.«
    »Geht dich das irgendwas an?«
    »Noch nicht.«
    Ihr Auflachen klang wie ein erstauntes Keuchen. »Wie bist du denn drauf? Lass mich in Ruhe.« Sie wandte sich zur Theke, trank noch etwas. Dann drehte sie sich wieder herum. »Außerdem tut mir nichts weh. Danke der Nachfrage.«
    Der Mann schwieg und nickte zum Takt der Musik. Den Song, der jetzt das Jacks erfüllte, kannte sie nicht. Sie musste wohl fragend ausgesehen haben, denn der Typ erklärte: »Das ist von den B-52s – There’s a Moon in the Sky. « Er schmunzelte. »Ich stehe drauf, wenn sie die alten Songs spielen.«
    »Nie gehört.«
    »Wenn du Glück hast, fliegst du auf einem Meteoriten aus Gold, wenn nicht, bekommst du Kryptonit verpasst.«
    Sie runzelte die Stirn. »Hä?«
    Der Mann lachte und trank einen Schluck Bier. »Ist ein Zitat aus dem Song.« Sie bekam langsam Probleme, sein Gesicht zu fixieren. Der Alkohol tat seine Wirkung.
    »Was ist denn Kryptonit?«
    »Das Einzige, was Superman verletzen kann. Sein ganz persönliches

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