Totenmontag: 7. Fall mit Tempe Brennan
schon glaubte, ich würde sein Schweigen nicht länger aushalten, machte er endlich den Mund auf.
»Ich werde mich für eine Weile ziemlich rar machen müssen.«
Die Faust im Magen. Jetzt kommt’s. Das Ende des Endes.
»Ich kann nicht ins Detail gehen, aber es ist was Großes – CUM, SQ, RCMP, sogar die Amerikaner sind beteiligt. Die Operation läuft schon seit einigen Monaten.«
Es dauerte eine Weile, bis ich begriff.
»Du redest von einer Polizeiaktion?«
»Claudel ist dabei, Charbonneau ebenfalls. Das kann ich dir sagen, ohne was zu verraten.«
Ich schaffte es einfach nicht, die Verbindungen herzustellen.
»Warum erzählst du mir das?«
»Claudels mangelndes Interesse an deinen Pizzaknochen. Ich weiß, dass dir das zu schaffen macht.«
»Du musst weg?«
»Nicht dass ich es wollte.« Die Andeutung eines Lächelns. »Das ist die Kehrseite des Ruhms und der vielen Kohle.«
Ich schaute auf meine Hände.
»Ich lass dich mit dieser Sache hier nicht gern allein.«
»Ich habe keine Verstärkung gerufen, Ryan. Du bist einfach so vorbeigekommen.«
»Mir gefällt diese Geschichte hier nicht, Tempe.« Ryans Stimme war sanft.
»Ist doch keine große Sache.«
Ich spürte, wie die Kobalt-Augen über mein Gesicht wanderten.
»Ich werde verstärkte Streife anfordern.«
»Ich komme schon zurecht.«
Ryan hob mit gekrümmtem Zeigefinger mein Kinn an.
»Ich weiß nicht so recht, was hier los war, aber ich habe vor, es herauszufinden.«
»Das war doch nur ein blöder Einbruchdiebstahl.«
Der Finger wanderte zu meinen Lippen.
»Denk mal drüber nach. Was wurde mitgenommen? Was wurde hier gelassen? Warum dieses saubere Eindringen, und dann das zerdepperte Glas?«
Ryan nahm meine Hände und drückte sie, um mich zu beruhigen. Stattdessen wuchs meine Aufregung nur noch.
»Ich würde wirklich gern bleiben, Tempe.«
Ich suchte sein Gesicht ab und hoffte auf Worte, die mich trösten würden. Stattdessen ließ Ryan mich los und zog seine Jacke an. Er nahm die Tüte mit dem Isolierband, berührte noch ein letztes Mal meine Wange und war verschwunden.
Einen Augenblick stand ich nur da und dachte über seine letzten Worte nach.
Wie, wo oder was bleiben, Ryan? Auf Kurs? Über Nacht? Cool? Frei?
Kein Ton aus dem Arbeitszimmer. Annes Licht war aus.
Nachdem ich die Heizung aufgedreht hatte, kontrollierte ich sämtliche Schlösser, schaltete die Alarmanlage ein und überprüfte das Telefon. Dann ging ich zu meinem Schlafzimmer.
Es war mir zuvor nicht aufgefallen. Als ich über die Schwelle trat, zog es meine Aufmerksamkeit auf sich wie ein bösartiges Phantom.
Meine Beine versagten mir den Dienst, als ich die makabre Scheußlichkeit über meinem Bett sah.
11
»Nein!«
Ich stürzte zum Bett, sprang darauf, riss eine lange, gezackte Scherbe aus dem Gemälde über dem Kopfbrett und warf sie quer durchs Zimmer.
Glas zerbarst. Splitter prallten von der Wand ab und fielen auf andere, die wir bei unserem hastigen Aufräumen an der Fußleiste zusammengefegt hatten.
»Du elender Hurensohn!«
Mein Herz hämmerte. Tränen brannten mir unter den Lidern.
Ich zog mich aus und warf ein Kleidungsstück nach dem anderen der Scherbe hinterher. Dann kroch ich nackt und zitternd unter die Decke.
Als Studienanfängerin an der UVA hatte Katy sich zunächst für ein Kunststudium entschieden. Das Interesse hielt zwar nicht lange an, aber in dieser kurzen Blütezeit betrieb sie les beaux arts so leidenschaftlich wie jeder Montmartre-Aspirant. In nur einem Semester produzierte sie vier Drucke, vierzehn Zeichnungen und sechs Ölbilder, wobei ihr Stil eine lyrische Mischung aus buntem Fauvismus und Barbizon-Naturalismus war.
Zu meinem Vierzigsten schenkte mir mein einziger Sprössling ein original Katy Petersons in Öl, eine herbe Interpretation einer Szene aus den Charlottesviller Hügeln à la Matisse-trifft-Rousseau. Diese Leinwand bedeutet mir sehr viel. Sie ist eins der wenigen Dinge, die ich von Carolina nach Quebec geschafft habe, um meine Wohnung ein wenig heimeliger zu machen. Katys Landschaft ist das Letzte, was ich sehe, wenn ich abends mein Bett aufschlage, und mein Blick fällt darauf, sooft ich das Zimmer betrete.
Warum konntest du dir nicht einfach nur nehmen, was du wolltest? Warum musstest du Katys Bild zerstören? Warum musstest du das wunderschöne, gottverdammte Bild meiner Tochter zerstören?
Ich kniff die Lider fest zusammen. Ich war zu wütend, um zu weinen, zu wütend, es nicht zu tun. Meine Finger kneteten
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