Totenmontag: 7. Fall mit Tempe Brennan
Tempe. Für diese Mafiosi ist ein Menschenleben nicht mehr wert als benutzte Zahnseide. Pass auf dich auf.«
»Das tue ich immer.«
»Fenster repariert?«
»Ja.«
»Ich habe dich dieses Wochenende vermisst.«
»Wirklich?«
»Ist deine Freundin noch bei dir?«
»Ja.«
»Wir reden, wenn sie wieder weg ist.«
»Anne beißt nicht.«
Eine lange Pause. Ryan beendete sie.
»Lass mich wissen, was LaManche sagt. Pieps mich an, falls ich nicht im Büro bin.«
Bevor ich mich an die Untersuchung des dritten Skeletts machte, schaute ich im Hauptautopsiesaal vorbei. Pelletier hatte das erste der Crack-Opfer auf Tisch eins. LaManche hatte Louise Parent auf Tisch zwei.
Parent war in einem Oma-Nachthemd eingetroffen. Das lange Flanellhemd lag ausgebreitet auf der Anrichte. Rote Rosen auf Pink. Spitzenbesetzte Passe mit Perlknopfleiste.
Eine Erinnerung blitzte auf. Oma, die in ihren Pantoffeln und mit einer Tasse Kamillentee ins Bett schlurft.
Mein Blick wanderte zu der Leiche.
Auf dem Lochstahl wirkte Parent Mitleid erregend klein. So allein. So tot.
Ein Stich der Trauer.
Ich biss auf die Zähne.
Behutsam drehte LaManche den Kopf der Frau. Öffnete ihren Mund. Hob eine Schulter an. Der runzlige Rücken und die Hinterbacken waren violett vor Leichenflecken.
LaManche drückte einen Finger in das verfärbte Fleisch. Der Druckpunkt entfärbte sich nicht.
LaManche ließ die Leiche wieder auf den Rücken sinken und hob dann eine leblose Hand an. An einigen wenigen Stellen löste sich eine papierdünne Schicht von der darunter liegenden Lederhaut.
»Leichenflecken nicht mehr wegdrückbar. Totenstarre ist eingetreten und wieder verschwunden. Hautablösung hat noch kaum begonnen.«
Während LaManche seine Beobachtungen notierte, wanderte mein Blick über die Geographie von Parents Leiche.
Die Muskeln der Frau waren verfallen, die Haare grau, die Haut so blass, dass sie fast durchscheinend wirkte. Ihre verschrumpelten Brüste lagen schlaff auf dem knochigen Brustkorb. Ihr Bauch wurde bereits grün.
»Was meinen Sie, wie lange sie schon tot ist?«, fragte ich.
»Ich sehe keine Marmorierung, keine Aufblähung, nur minimale Verwesung. Das Haus war warm, aber nicht überhitzt. Ich werde natürlich noch Mageninhalt und Augenflüssigkeit untersuchen, aber zu diesem Zeitpunkt würde ich sagen, achtundvierzig bis zweiundsiebzig Stunden.«
Noch ein Stich.
Am Mittwoch hatte ich diese Frau abgewimmelt. Am Donnerstag hatte sie mich noch einmal angerufen. Nach LaManches Schätzung war sie am Freitag oder am Samstag ums Leben gekommen.
Mir fiel eine dünne weiße Linie auf ihrem Unterbauch auf.
»Sieht aus, als hätte sie eine Operation gehabt.«
LaManche zeichnete die Narbe bereits in ein Diagramm ein.
Mein Blick wanderte zu Parents Gesicht.
Beide Augen waren halb geöffnet und zeigten dunkle Verfärbungen.
Im Tod erschlaffen die Muskeln der Lider und entblößen die Hornhaut, so dass das Epithelgewebe austrocknen kann. Tache noire sclérotique. Ganz normal. Aber die Veränderung gab Parent das makabre Aussehen eines gestern überfahrenen Tiers.
Ich beugte mich über den Kopf und untersuchte Parents Zähne. Sie waren zwar abgenutzt, aber sauber und nur mäßig verfärbt. Das Zahnfleisch zeigte kaum Schwellung oder Resorption. Parent hatte sich um ihre Zähne gekümmert.
Ich wollte mich eben wieder aufrichten, als mein Blick auf etwas fiel, das zwischen dem rechten seitlichen Schneidezahn und dem Eckzahn klemmte. Ich beugte mich noch einmal darüber.
Da war eindeutig etwas.
Ich holte mir eine Lupe aus einer Schublade und kehrte zum Tisch zurück.
»Dr. LaManche«, sagte ich. »Schauen Sie sich das mal an.«
19
LaManche kam um den Tisch herum, und ich gab ihm die Lupe. Er betrachtete Parents Gebiss und sagte dann, ohne sich aufzurichten: »Eine Feder.«
»Ja«, entgegnete ich.
Mit einer Pinzette zog LaManche die Feder aus den Zähnen und steckte sie in ein Plastikröhrchen. Dann öffnete er Parents Mund weiter und untersuchte die Backenzähne.
»Ich sehe keine anderen.« Gedämpft durch die Maske.
»Luma-Lampe?«
»Bitte.« Er wandte sich an die Autopsietechnikerin. »Lisa?«
Während ich den Apparat aus einem Schrank holte, legte Lisa Parent auf eine Rollbahre und schob sie ins angrenzende Röntgenzimmer. Als ich zu ihnen kam, hatte sie auch das Nachthemd geholt und auf dem Röntgentisch ausgebreitet.
Während LaManche und ich orange getönte Schutzbrillen aufsetzten, schloss Lisa die Luma-Lampe an, die
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