Totenmontag: 7. Fall mit Tempe Brennan
Gelegenheit zur Flucht genutzt.
Ich zog mich aus, wusch mich, putzte mir die Zähne und zerbrach mir dabei die ganze Zeit den Kopf wegen meines Versprechens an Katy. Ich war so beschäftigt gewesen mit Louise Parent und den Mädchen aus dem Pizzakeller, dass ich Weihnachten praktisch vergessen hatte. Und Hannahs Brautparty völlig vergessen hatte.
Konnte ich den Fall in einer Woche lösen, oder würde ich gezwungen sein, meine verlorenen Mädchen über die Feiertage zu vertrösten?
In meinem Zimmer griff ich nach dem Wecker, um ihn zu stellen, hielt dann aber inne. Hatte Ryan mir gesagt, wann er mich abholen würde? Ich wusste noch, dass ich ihn gefragt hatte, wusste aber die Antwort nicht mehr.
Halb elf. Jetzt war er vermutlich zu Hause.
Ich drückte die Kurzwahltaste mit Ryans Nummer. Es klingelte nur zweimal, dann wurde abgehoben.
»Ja.« Eine weibliche Stimme.
Irgendwas brannte sich durch meinen Magen und meine Lunge.
»Andrew Ryan, bitte.«
»Wer ist dran?« Jung und weiblich.
»Dr. Brennan.«
»Ach Sie.« Jung und weiblich und scharf wie ein Sägeblatt.
»Warum lassen Sie ihn nicht in Ruhe?«
»Wie bitte?«
»Hören Sie auf, ihn dauernd so durcheinander zu bringen.«
»Sind Sie Danielle?«
Langes Schweigen.
Meine Gedanken rasten. War das der richtige Name?
»Sind Sie Detective Ryans Nichte?«
Die Frau schnaubte. »Nichte? Das hat er Ihnen erzählt? Und Sie haben ihm geglaubt? Sie sind ja noch blöder, als ich dachte.«
Die Wahrheit traf mich wie die Klinge einer Guillotine.
»Lassen Sie ihn einfach in Ruhe.«
Ich lauschte dem Freizeichen.
24
Nachdem ich einen Großteil der Nacht wach gelegen und mich noch verzweifelter gefühlt hatte als Anne, fing ich irgendwann an, in unruhigen Intervallen zu schlafen.
Gegen Morgen träumte ich, Ryan und ich wären in einem langen, dunklen Tunnel. Während wir sprachen, wich Ryan immer weiter und weiter von mir zurück, bis sein Körper nur noch eine verschwommene Silhouette an der Tunnelöffnung war.
Ich versuchte zu folgen, aber meine Beine waren Teer. Immer und immer wieder rief ich, aber mein Mund blieb stumm.
Etwas huschte in der Dunkelheit an mir vorbei, trocken und spinnenartig wie der Flügel einer Fledermaus.
Ich versuchte, meinen Arm zu heben. Er ließ sich nicht bewegen.
Das Ding berührte meine Wange.
Ich schlug danach.
Ich wachte auf und merkte, dass Birdie mir das Gesicht leckte.
Der Monsieur aus dem Tunnel rief an, als ich eben Cornflakes und Toast verdrückte. Ich war fest entschlossen, wie geplant mit ihm nach Candiac zu fahren. Ich wollte mit Rose Fisher sprechen. Und danach würde es Sayonara heißen. Zu viel Kummer. Zu viele schlaflose Nächte.
Zu viele College-Gören.
Ich überlegte kurz, ob ich Ryan wegen der Frau bei ihm zu Hause zur Rede stellen sollte, entschied mich dann aber dagegen. Ich war schon einmal betrogen worden. Dieses Drama hatte ich hinter mir. Die tränenreichen Vorwürfe. Die feindseligen Leugnungen. Die herzzerreißenden Geständnisse. Das wollte ich nicht noch einmal.
Birdie unterstützte meine Entscheidung.
»Gut geschlafen, Sonnenschein?«
»Wie ein Stein.«
»Bastillo bringt Fisher um zehn zu ihrem Priester. Sie meinte, wir sollten gegen elf zum Haus kommen.« Ich hörte etwas, das klang wie ein Streichholz, dann das Ausatmen von Rauch. »Soll ich dich gegen halb elf abholen?«
»Ich bin zu Hause.«
Claudel rief an, als ich mir eben die Haare föhnte.
»Detective Charbonneau meinte, ich soll Sie anrufen, ich weiß allerdings nicht genau, wieso.« Von den meisten Zungen fließt das Französische wie Seide. Von Claudels rumpelte es wie Kartoffeln in einer Schüttrinne. »Ich habe nichts zu berichten.«
»Soll heißen?«
»Keine rauchenden Colts auf Cyrs Namensliste. Keine Ergebnisse vom CPIC. Keine Ergebnisse vom NCIC. Keine Treffer in Vermont oder Kalifornien.«
»Keine einzige Vermisste kam der Beschreibung nahe?«
»Ein Mädchen in Kalifornien. Bruch des rechten Handgelenks. Streifte das untere Ende Ihres Größenbereichs.«
»Wie groß?«
»Eins sechzig.«
Mich immerhin elektrisierte das.
»Dicht genug dran. Wann wurde sie als vermisst gemeldet?«
»Fünfundachtzig.«
»Wo ist das Problem?«
»Das Mädchen war vierzehn.«
Die Spannung ließ etwas nach.
»Das Skelett mit der gebrochenen Speiche war eher zwanzig.«
Ich stellte mir die Knochen des Mädchens in der Lederumhüllung vor, die abgeschlossene Wurzelbildung der Backenzähne auf der Röntgenaufnahme. »Vielleicht
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