Totenmontag: 7. Fall mit Tempe Brennan
achtzehn, aber auf keinen Fall vierzehn.«
»Genau das meinte ich.«
»Natürlich muss das Datum des Verschwindens nicht unbedingt das Todesdatum sein. Haben Sie sonst noch etwas herausgefunden?«
»Jedes Jahr verschwinden ganze Bataillone von Mädchen.«
Leg auf, warnte mich eine Stimme. Leg auf, sonst verpasst du Claudel schon wieder eine Breitseite.
Meine Türklingel bimmelt nicht. Sie zwitschert. In diesem Augenblick tat sie es.
»Ich hätte gern einen Ausdruck mit jeder weiblichen Person zwischen fünfzehn und zweiundzwanzig, die in Quebec in den letzten zwanzig Jahren als vermisst gemeldet wurde.«
»Wir reden da von Dutzenden. Die meisten erweisen sich als Ausreißer, die sich irgendwann zu Mommy und Daddy zurückschleichen, weil sie keine Lust mehr haben, Dosensuppen zu essen und auf dem Boden zu schlafen.«
Bleib locker.
»Es würde mir sehr weiterhelfen, wenn wir wüssten, welche es nicht getan haben.«
Es zwitscherte noch einmal.
»Madame, das …«
»Detective Ryan ist hier. Ich muss los.«
»Andrew Ryan?«
»Wir wollen Louise Parents Schwester befragen.«
»Die Tote aus Candiac?«
»Ja.«
»Die alte Dame, die Ihre Telefonleitung zum Glühen gebracht hat?«
»Sie hat bei mir angerufen.«
»Und wollte was?«
»Genau das will ich herausfinden.«
»Wann ist die Schwester wieder aufgetaucht?«
»Gestern.«
»Wo?«
»Zu Hause.«
»Und wo hatte die alte Schachtel sich versteckt?«
»Pointe-aux-Pics.« Eisig. »Ich hätte diesen Ausdruck gern, sobald er fertig ist.«
» Sacrifice. «
» Merci. « Arschloch.
Ich rannte ins Bad. Die eine Seite meiner Frisur war okay. Die andere hing in feuchten Spiralen herunter. Ich griff nach dem Föhn.
Zwitschern. Aber mit Krallen.
»Klasse.«
Birdie beobachtete mich von der Tür aus. Beim Klang meiner Stimme stand er auf, streckte ein Bein nach hinten und setzte sich in Bewegung. Keine Zeit, Anne einen Zettel zu schreiben.
Ich steckte den Föhn wieder in den Halter, setzte eine Mütze auf und verließ die Wohnung.
Ryan wartete in der Vorhalle, das Gesicht von der Kälte gerötet. Braun getönte Sonnenbrille. Bomberjacke.
Ein Booster für meine Libido.
Obwohl der Anruf des letzten Abends noch meine Gefühle beherrschte, hatte meine Lust offensichtlich einen Houdini geschafft.
»Hab ich dich aufgeweckt, Zuckerschnittchen?« Dickes Ryan-Grinsen.
»Du hast mich nicht aufgeweckt.« Ich gab mir Mühe, keine Feindseligkeit mitschwingen zu lassen.
»Sind wir heute Morgen etwas gereizt?«
»Rauchen wir heute Morgen mal wieder?«
»Unbedeutender Rückschlag.« Ryan drückte seine Zigarette in ein Gefäß mit Sand neben der Tür.
Draußen traf mich die Kälte wie eine eisige Explosion. Die Sonne strahlte aus einem klaren, blauen Himmel.
Ryans Auto schnurrte im Leerlauf am Bordstein.
Ich stieg ein und schnallte mich an.
Ryan stieg ein, wandte sich mir zu und schob sich die Sonnenbrille auf den Kopf hoch. Eine dunkle Sichel hing unter jedem azurblauen Auge.
»Irgendwas beschäftigt dich.«
Ich sagte nichts.
»Es ist offensichtlich, dass du durcheinander bist.«
Ich sagte nichts, doch diesmal lauter.
»Ich fürchte, du bist unglücklich mit mir.« Obwohl er lächelte, war die Anspannung in seiner Kiefermuskulatur und um die Augen herum deutlich sichtbar.
»Ich weiß, dass du dich für ’ne ganz heiße Nummer hältst, Ryan, aber es gibt neben dir auch andere Sachen, die mir durch den Kopf gehen.«
Neben dir und deiner Nichte. Ich kam mir vor wie ein einziger bloßliegender Nervenstrang.
»Willst du reden?«, fragte Ryan.
»Ich will los«, sagte ich, weil ich meiner Stimme nicht mehr traute.
Wir fuhren los.
In eisigem Schweigen.
Claudia Bastillo öffnete uns die Tür des Hauses in Candiac. Ich knipste ein hochstaplerisches Lächeln an und begrüßte sie herzlich.
Rose Fisher saß allein im Wohnzimmer und starrte die Jalousien an. Sie trug ein grünes Kunstseidenkleid mit Mohnblumenmuster. Die orangefarbenen Haare waren mit einem Plastikclip am Hinterkopf zusammengesteckt. Das Make-up war, falls das überhaupt möglich war, noch extravaganter als am vergangenen Abend.
’tit ange versuchte sich an Frère Jacques.
Fisher rührte sich nicht, als wir eintraten. Als sie die Stimme ihrer Tochter hörte, drehte sie sich um und schaute uns verwirrt an, als versuchte sie herauszufinden, wer wir sind.
»Es ist der Bulle. Und die Leichenlady.«
Mit dieser nicht gerade präzisen Vorstellung zog Bastillo sich zurück.
Ryan und ich
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