Totenmontag: 7. Fall mit Tempe Brennan
zutrifft, ist Menard gefährlich.«
»Ich bin ein großes Mädchen.«
Claudel schaute mich so lange an, dass ich schon glaubte, er würde nicht mehr antworten. Dann deutete er mit einem Schulterzucken auf Ryan.
»Der Cowboy braucht noch eine Eskorte. Traut sich sonst eh keiner.«
Ich war verblüfft. Der humoristisch Unterprivilegierte hatte einen Witz versucht.
Der Rest des Sonntags war die reinste Qual. Während ich im Haus herumwerkelte, empfand ich Traurigkeit, die vermischt war mit tiefer Enttäuschung über mich selbst. Warum war ich nicht früher auf den Gedanken gekommen, dass die Knochen von Mädchen stammen konnten, die gefangen gehalten worden waren? Warum hatte ich nicht begriffen, warum meine Skelettprofile nicht zu den Beschreibungen auf den Vermisstenlisten passten? Wieder und wieder fragte ich mich: Hätte es einen Unterschied gemacht?
Verstörende Bilder zogen mir immer wieder durch den Kopf. Anique Pomerleau mit ihrem weißen Gesicht und dem langen schwarzen Zopf. Angie Robinson in einer Lederumhüllung in einem Keller.
Ich im Auto mit Ryan.
Anne. Wo zum Teufel war sie? Sollte ich mehr tun, um sie zu finden? Was?
Ich ging ins Fitnessstudio und lief drei Meilen auf dem Band mit einer CD alter Lieblingssongs im Kopfhörer.
The Lovin’ Spoonful. Donovan. The Mamas and the Papas. The Supremes.
Als ich mich in dieser Nacht in meinem Bett herumwälzte, ging mir ein Refrain nicht mehr aus dem Kopf.
Monday, Monday …
Am vorletzten Montag hatte ich die Knochen von drei jungen Mädchen ausgegraben.
Am letzten Montag hatte ich mit der Pinzette Federn aus Louise Parents Mund gezogen. Morgen würde ich das Haus des Grauens durchsuchen.
Can’t trust that day …
Ich erschauderte bei dem Gedanken, was der nächste Montag bringen würde.
31
Um neun hatte Claudel den Durchsuchungsbefehl. Um Viertel nach war Ryan bei mir.
Als ich in seinen Jeep einstieg, gab Ryan mir einen Kaffee. Eigentlich war ich so schon aufgeregt genug.
Ich dankte ihm, zog meine Handschuhe aus, legte die Finger um das Styropor und versuchte, meinen Herzschlag zu verlangsamen, obwohl ich an dem Kaffee nippte.
Nach fünf Minuten machte Ryan sein Fenster einen Spalt auf und zündete sich eine Player’s an. Normalerweise hätte er gefragt, ob ich etwas dagegen hätte. Heute tat er es nicht. Ich vermutete, er war so nervös wie ich.
Die Straßen waren noch verstopft von den Überbleibseln der montagmorgendlichen Stoßzeit. Eine Dekade und zwanzig Minuten später erreichten wir den Pointe.
Als wir auf die de Sébastopol einbogen, sah ich zwei Einsatzwagen und einen zivilen Impala in Abständen am Straßenrand stehen. Aus allen drei Auspuffrohren quoll Rauch.
Ryan stellte sich hinter den ersten Einsatzwagen. Er schaltete den Motor aus und drehte sich mir zu.
»Wenn Menard dir auch nur einen bösen Blick zuwirft, verduftest du. Ist das klar?«
»Wir wollen das Haus durchsuchen, nicht stürmen.«
»Die Sache könnte übel ausgehen.«
»Hier sind sieben Beamte, Ryan. Wenn Menard unkooperativ ist, dann leg ihm Handschellen an.«
»Die kleinste Drohung, und du gehst in Deckung.«
Ich salutierte zackig.
Ryans Stimme wurde hart. »Ich meine das ernst, verdammt noch mal. Wenn ich sage renn, dann bist du weg.«
Ich verdrehte die Augen.
»Das war’s.« Ryans Hand bewegte sich in Richtung Zündschloss.
»Okay«, sagte ich und zog meine Handschuhe an. »Ich befolge die Befehle. Sir. «
»Keine Spielchen. Das ist eine gefährliche Arbeit.«
Ryan und ich stiegen aus und schlossen leise die Türen.
Über Nacht hatte das Wetter sich geändert. Die Luft war feucht und eisig, und schwere graue Wolken hingen tief am Himmel.
Als der Stallhund uns sah, fing er an zu bellen. Ansonsten war auf der de Sébastopol kein Lebenszeichen zu sehen. Keine Jungs, die mit Pucks und Schlägern spielten. Keine Hausfrauen mit Einkaufstüten. Keine Rentner, die auf Balkonen oder Haustreppen klatschten.
Ein typischer Wintertag in Montreal. Bleib im Haus, bleib in der Metro, bleib im Untergrund. Grab dich ein und versuche, bis zum Frühling nicht verrückt zu werden. In der herrschenden Stille klang das Bellen umso lauter.
Ryan und ich gingen schräg über die Straße. Als wir uns dem Impala näherten, stieg das Dynamische Duo aus.
Claudel trug einen hellbraunen Kaschmirmantel. Charbonneau hatte eine dicke, zottige Jacke an, deren Materialmix nur allzu offensichtlich war.
Wir nickten einander zu.
»Wie sieht der Plan aus?«,
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