Totennacht (German Edition)
Rot- und Blautöne – unterscheidbar waren. Darüber wölbte sich ein Gestrüpp elfenbeinfarbenen Haars.
«Mr. Santangelo? Ich bin Chief Campbell von der hiesigen Polizei.»
Lee reagierte nicht, worauf sie sich vor den Fernseher stellte. Aber auch das ließ ihn unbeeindruckt. Er schaute gar nicht auf den Bildschirm, sondern schien in eine jenseitige Welt zu starren.
Alzheimer, vermutete Kat. Im fortgeschrittenen Stadium. Als sie seine Hand berührte, kam plötzlich Leben in seine Augen. Fokussierte Pupillen richteten sich auf sie, schienen aber nicht wirklich zu erkennen. Die Kinnlade fiel herunter. Lee versuchte, etwas zu sagen, brachte aber nur gurgelnde Geräusche hervor und die Silbe «Beck».
Seine Frau eilte herbei. «Hier bin ich. Das ist Chief Campbell. Du kanntest ihren Vater. James. Auch er war bei der Polizei.
«Beck», wiederholte Lee.
Kat wich zurück und wusste nicht weiter. Sie hatte sich vorgenommen, Lee zu fragen, mit wem er die Nacht vom zwanzigsten auf den einundzwanzigsten Juli 1969 verbracht hatte, doch das konnte sie sich nun schenken. Selbst wenn er sich erinnerte, wäre er kaum imstande, Auskunft zu geben.
«Die Krankheit wurde vor fünf Jahren diagnostiziert», erklärte Becky. «Danach ging es rapide bergab mit ihm. Er hatte, den Umständen entsprechend, noch eine gute Zeit, aber auch damit ist es jetzt vorbei.»
Kat ließ ein verlegenes «Tut mir leid» verlauten, das Mrs. Santangelo wohl kaum trösten konnte.
«Jetzt kennen Sie unser kleines Geheimnis», sagte sie. «Ich hoffe, es bleibt unter uns.»
Kat nickte. «Natürlich.»
Eric hatte vor der Schlafzimmertür gewartet. Als sie alle drei auf dem Treppenabsatz standen, sagte Kat: «Mrs. Santangelo, ich muss noch einmal auf die Nacht zurückkommen, in der Charlie Olmstead verschwand. Wo war Ihr Mann zu der Zeit?»
«Das habe ich schon gesagt», antwortete Becky. «Er war hier.»
«Allein?»
«Ja.»
«Sind Sie sicher?»
Nacheinander gingen sie wieder nach unten. Becky, an letzter Stelle, blieb auf halber Treppe stehen. «Was wollen Sie da eigentlich unterstellen?»
Kat unterstellte gar nichts, sondern redete Klartext. «Wir wissen, dass außer Ihrem Mann noch jemand im Haus war.»
Becky hob den Kopf ein wenig und setzte sich wieder in Bewegung. Von der Treppe steuerte sie geradewegs auf die Eingangstür zu und öffnete sie.
«Tut mir leid, aber für mich ist unser Gespräch beendet.»
Eric trat hinzu und bemühte sich um Schadensbegrenzung. «Es ist verständlich, dass es Ihnen schwerfällt, darüber zu reden. Aber wenn in der besagten Nacht jemand bei Ihrem Mann gewesen ist, müssen wir wissen, wer es war. Vielleicht ist dieser Person irgendetwas Ungewöhnliches aufgefallen, etwas, das uns weiterhelfen könnte herauszufinden, was mit meinem Bruder geschehen ist.»
«Lee war allein», wiederholte Becky und drängte darauf, dass die beiden das Haus verließen. «Etwas anderes werden Sie von mir nicht hören.»
«Ich habe Verständnis dafür, dass Sie um den guten Ruf Ihres Mannes besorgt sind», sagte Kat. «Wir werden daran nicht kratzen. Es geht uns ausschließlich darum, der Frau, mit der Ihr Mann eine Affäre hatte, ein paar Fragen zu stellen.»
Affäre. Das Wort war ihr herausgerutscht. Es hing in der Luft wie Zigarrenrauch.
«Was erlauben Sie sich?» Becky kochte. «Sie dringen in mein Haus ein, verletzen meine Privatsphäre und bezichtigen obendrein auch noch meinen Mann, der sich so sehr um unser Land verdient gemacht hat, der Untreue.»
«Aber meine Mutter hat jemanden vor dem Fenster stehen sehen», sagte Eric. «Eine Frau.»
«Ich weiß, was Ihre Mutter behauptet hat. Sie hat allen auf die Nase zu binden versucht, dass mich mein Mann betrügt. Aber ich habe geschwiegen, selbst als sie damit zur Polizei gegangen ist. Dabei hätte ich auch einiges über sie aussagen können, weiß Gott. Hier in der Straße wusste schließlich jeder, wie verrückt sie war.»
«Beleidigen Sie meine Mutter nicht», warnte Eric.
«Aber es ist die Wahrheit. Ihr Vater hat zwar nach außen hin so getan, als wäre nichts, aber wir haben die beiden oft genug gehört. Die Schreierei. Das Gekeife. Kein Wunder, dass Ihr Bruder so häufig bei uns war. Er hat es bei seiner Mutter nicht ausgehalten.»
Was Becky in ihrer Wut sagte, schien der Wahrheit recht nahe zu kommen. Kat erinnerte sich, dass Owen Peale erzählt hatte, wie sonderbar sich die Olmsteads verhalten und immer wieder mit boshaften Bemerkungen versucht hatten, dem
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