Totenpech
Inwieweit konnte er dieser Frau
vertrauen? Wenn sie dazugehörte, wäre seine Reise umsonst gewesen und würde
eine ziemlich gefährliche Nuance bekommen. Um ihr Geheimnis zu schützen, würden
solche Leute auch vor einem deutschen Beamten im Ausland keinen Halt machen.
Auf der anderen Seite, wenn sie nicht von der Partie war, hatte er in ihr eine
Verbündete, was sicherlich von Vorteil war. Die Entscheidung wurde ihm
abgenommen, als Kamal Alawar das Büro betrat. Sajah Haddad stellte Sam kurz auf
Englisch vor, erwähnte dabei allerdings nicht, dass er von der deutschen
Polizei war. Ein Zwinkern in ihren Augen bestärkte Sam darin, seine Rolle als
freier Journalist weiter zu spielen.
Als Erstes fiel Sam bei dem etwa ein Meter sechzig groÃen Mann auf,
dass er eine münzgroÃe Wunde auf der Stirn hatte, die wie ein zugewachsenes
Einschussloch aussah. Er zeigte auf Mr. Alawars Stirn und fragte mit
schmerzverzerrtem Gesicht auf Englisch, ob er sich irgendwo gestoÃen hätte. Ein
groÃer Fehler, wie sich herausstellte, denn Mr. Alawar schüttelte
verständnislos den Kopf und redete von da an nur noch auf Arabisch mit Sajah
Haddad. Plötzlich änderte sich der Ton des Gesprächs. Mrs. Haddad hatte das
Wort ergriffen, und beide sahen Sam plötzlich an. Bevor Mr. Alawar das Büro
wieder verlieÃ, warf er Sam einen Blick zu, der viele Komponenten enthielt: Misstrauen,
Skepsis, Angst und die Frage, was wollen Sie hier? Auf jeden Fall wollte Mr.
Alawar nicht Sams Freundschaft gewinnen.
»Mr. O âConnor
â¦Â«, begann Sajah Haddad ernst, dann veränderte sich ihr Gesichtsausdruck, und
sie fing an zu lachen. »Die Stelle auf Mr. Alawars Stirn ist ein Zeichen seines
Glaubens.« Sie studierte Sams Gesicht und sah, dass er immer noch nicht
verstanden hatte. »Besonders Gläubige, diejenigen, die täglich fünf Mal zu
Allah beten, schlagen ihren Kopf dabei oft zu heftig auf den Boden. Dabei
bilden sich mit der Zeit Stellen auf der Stirn. Sie verstehen?«
Sam hatte verstanden, und es war ihm ungemein peinlich, dass er in
einem fremden Land war und sich nicht vorher genauestens mit den
Gepflogenheiten und Sitten vertraut gemacht hatte.
»Ich hatte den Eindruck, dass er nicht gerade erbaut darüber war,
dass Sie an Basil Nassour interessiert sind. Was auch immer das zu bedeuten
hat. Basil Nassour gräbt zurzeit im Tal der Könige. Fahren Sie einfach hin.
Meinen Segen haben Sie, und wenn Sie irgendetwas brauchen, rufen Sie mich an â¦
Ach, und diese Figur hier verschwand vor ungefähr einem Jahr aus einer Vitrine
im zweiten Stock. Ich werde mich darum kümmern.«
Sie reichte ihm eine Telefonnummer, und Sam verlieà das Büro der
Direktorin. Er war so in Gedanken versunken, dass er weder ein Auge für die
Kolosse von Statuen im Eingang des Museums hatte noch für die Leute, die ihn
unmittelbar in diesem Moment umgaben. Sonst hätte er sich wahrscheinlich mehr
als gewundert.
Die Gestalt, die sich halb hinter einer Säule versteckt hielt,
beobachtete Sam O âConnor
dabei, wie er das Museum verlieÃ. Erst als sie sicher war, dass er nicht wieder
umkehrte und sich ihre Wege kreuzen würden, kam sie aus ihrem Versteck hervor.
77. KAPITEL
Sie hockte auf der Erde, die Beine angewinkelt, und strich
mit den Handflächen über den kalten Sandboden. Wo war Daniel? Er hatte doch
gesehen, was sie mit ihr in dem Laden gemacht hatten. Würde er sie hier
herausholen? Vorausgesetzt, er wusste, wo sie war. Daran zweifelte Lina nicht. Bleib immer bei mir. Das waren seine Worte gewesen. Auf dem
Basar hatte er sie nicht aus den Augen gelassen. Aber dieses mitternächtliche
Treffen zwischen Daniel und seiner Verfolgerin. Seiner Ex. Hatte er etwa
geahnt, was passieren würde? Wenn dem so war, konnte sie wohl mit seiner Hilfe
rechnen. Es sei denn, er war in einer ähnlichen Lage wie sie. Eingesperrt.
Lina erhob sich und schritt ihre kleine Zelle aus Lehmziegeln ab.
Zwischen zwei Ziegeln war eine kleine münzgroÃe Ãffnung, die wohl jemand dort hineingebohrt
hatte. Doch auÃer Sand konnte Lina nichts erkennen. Sie fühlte sich bestätigt,
dass sie irgendwo in der Wüste war, zumindest roch es hier danach. Sie nahm
wieder Abstand von der Ãffnung und entdeckte auf einem der Steine winzig kleine
eingeritzte Worte. Sie waren auf Französisch, leider für sie unverständlich.
Das Einzige, was sie begriff, war der
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