Totenpech
ein cocacolarotes Minikleid, sie hatte einen
goldfarbenen Schal um ihre schlanken Beine gelegt. Ausgesprochen ansehnlich,
dachte Sam. Er konnte sich sehr gut vorstellen, wie die drei jungen Damen den
Männern hier den Kopf verdrehten. Er überflog das Protokoll noch einmal und
betrachtete das Foto von Michaela Kriech, Tochter eines Abgeordneten. Es war
ein Foto, das im Club de la Vigie zwei Stunden vor ihrem Verschwinden mit einer
Digitalkamera aufgenommen worden war. Sie stand in einem weiÃen Anzug an der
Balustrade, im Hintergrund der Jachthafen. Sie lächelte, aber ihr Blick war
nicht direkt in die Kamera gerichtet.
»Okay, Sie sind alle am selben Tag angereist. Direktflug Berlin â
Nizza«, las Sam das Protokoll stichwortartig vor. »Während des Fluges, haben
Sie da jemanden kennengelernt?«
Einstimmiges Kopfschütteln der beiden.
»Sie hatten getrennte Zimmer? Michaela eins und Sie beide eins
zusammen, wenn ich das richtig sehe?«
Diesmal nickten beide.
»Darf ich fragen, warum?«
Jetzt sahen sich beide an, dann ergriff Sascha das Wort.
»Michaela meinte, sie bräuchte auch ab und zu mal Zeit für sich.«
»Hatte sie vielleicht hier jemanden kennengelernt?«
»Wenn dem so war, hat sie uns nichts davon erzählt«, antwortete
Luisa etwas schnippisch.
Der Ton lieà Sam aufhorchen. Anscheinend waren die drei nicht beste
Freundinnen. Es sah eher so aus, als wäre Michaela die Einzelgängerin gewesen.
»Wer hat das Foto gemacht?«
»Ich. Warum?«, fragte Luisa.
Sam reichte das Foto über den Tisch, und Sascha nahm es entgegen.
»Sie lächelt, aber sie lächelt nicht in die Kamera, sondern an der Kamera
vorbei. Wen hat sie da angelächelt?«
»Bestimmt irgendeinen Typen. Michaela war nicht zu halten, wenn sie
einen gut aussehenden Mann sah. Egal, welchen Alters. Ob ich oder Sascha ihn
gut fand, interessierte sie in dem Moment auch herzlich wenig. Hauptsache, sie
hatte ihre Bestätigung, dass sie gut ankam.«
»Ich gehe davon aus, dass das auch der Auslöser des Streits war?«
Wieder ein bestätigendes Nicken der beiden.
»Gehen Sie bitte in sich. Rufen Sie Bilder in Ihrem Kopf auf. Wo
sind Sie überall gewesen? Mit wem haben Sie geredet?«
»Mein Gott, wir waren auf etwa zehn Partys, seit wir hier sind.
Michaela hat mit ungefähr einhundert Typen in der letzten Woche gesprochen. Und
fragen Sie jetzt nicht, wie die alle ausgesehen haben. Sie hatte keinen
speziellen Typ. Wichtig waren ihr Geld und gutes Aussehen.«
Sam lehnte sich im Sessel zurück und atmete tief durch. Er strich
sich über die Haare und hoffte, dass man ihm seine Ratlosigkeit nicht ansah. Er
hätte wohl eher die Nadel im Heuhaufen gefunden, als hier eine nützliche
Information zu bekommen. Er entschloss sich, vorerst eine Pause einzulegen und
sich das Hotelzimmer von Michaela anzusehen.
»Sie bleiben bitte beide hier im Hotel und halten sich für weitere
Fragen zur Verfügung«, sagte er im Aufstehen zu den beiden jungen Frauen und
sah sich in der Lobby nach Brenner um, der jedoch nirgendwo zu sehen war.
An der Rezeption holte er sich die Schlüssel für die Grand Port View
Suite, die Michaela Kriech bewohnt hatte.
Die Suite im sechsten Stock war in ein Schlafzimmer und ein
Wohnzimmer aufgeteilt, beide mit Blick auf den Jachthafen, und hatte mit über
sechzig Quadratmetern beinahe die GröÃe seiner Wohnung in München. Im
Wohnzimmer waren Kleider und Accessoires auf sämtlichen Möbelstücken verteilt.
Wahrscheinlich hatte sie sich ein paarmal umgezogen, bis sie das richtige
Outfit für den Abend gefunden hatte. Der weiÃe Anzug.
Das Zimmer brachte wenig Aufschlussreiches zutage, kein Handy, keine
Notizen, Telefonate waren von dem Zimmer aus nicht geführt worden, und das Bett
war nach der Benutzung frisch bezogen worden. Die Mülleimer im Bad und in den
Zimmern waren leer. Sam stellte sich ans Fenster und sah auf die beleuchteten
Fenster der Hochhäuser, die sich vom Jachthafen bis hoch in die Berge des kleinen
Landes zogen.
Auf der längsten Jacht, die dicht neben dem Hotel ankerte, knallte
ein Korken, gefolgt von lautem Gelächter.
Und dann kam Sam plötzlich ein Gedanke. Ein Gedanke, der ihm im
ersten Moment völlig absurd vorkam. Dennoch entbehrte er nicht einer gewissen
Logik.
9. KAPITEL
Der harte Boden lieà Jean-Luc Fleury nachts kaum schlafen,
sodass er auch
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