Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Totenpfad

Totenpfad

Titel: Totenpfad Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elly Griffiths , Tanja Handels
Vom Netzwerk:
weiche äußere Holzschicht ist vom ständigen Gezeitenwechsel fast abgetragen. Zurück bleibt nur der harte innere Kern, der gezackte Konturen hat und ein wenig bedrohlich aussieht.
    «Scheint mir das gleiche Holz zu sein, das für die Pfähle des Henge verwendet wurde», bemerkt Ruth.
    Erik wirft ihr einen Blick zu. «Da hast du wahrscheinlich recht. Aber wir müssen abwarten, was die Dendrochronologie-Datierung ergibt.»
    Die Bestimmung der Jahresringe, die Dendrochronologie, erweist sich oft als erstaunlich genau. Ein Baum bildet jedes Jahr einen Jahresring aus, der in feuchten Jahren breiter ist und in trockenen eher schmaler. Aus diesen «redseligen Baumringen» . (eine Bezeichnung, die Peter immer ausgesprochen amüsant fand) lässt sich ein Diagramm erstellen, das die Wachstumsmuster abbildet und anhand dessen sich Wachstumsschwankungen erkennen lassen. Mit Hilfe eines solchen Diagramms sowie der Radiokarbondatierung kann man das genaue Jahr und oft sogar die Jahreszeit ermitteln, zu der ein Baum gefällt wurde.
    Ruth hilft bei den Grabungen an der Stelle, wo die Eisenzeitleiche gefunden wurde. Sie hat immer noch Mitgefühl mit diesem Mädchen, das mit Misteln gefüttert, gefesseltund dem sicheren Tod überlassen wurde. Irgendwie scheint ihr Schicksal mit dem von Scarlet und Lucy verknüpft zu sein. Und Ruth wird das Gefühl nicht los, dass sie, wenn es ihr gelingt, das Geheimnis des Eisenzeitmädchens zu lüften, auch Licht in das Dunkel bringen kann, das den Tod der anderen beiden Mädchen umgibt.
    Vor allem aber genießt sie es, endlich wieder zu graben. Wie an dem Tag, als sie zusammen mit Nelson Sparkys Grab zugeschüttet hat, stellt sie auch diesmal fest, dass Schmerz, Angst und Aufregung vergessen sind, sobald man sich körperlich anstrengt. Ruth konzentriert sich ganz auf ihren Spatel, gibt sich dem Rhythmus hin und achtet kaum auf die Schmerzen im Rücken, sondern nur noch darauf, die Erde in ordentlichen Soden abzutragen. Nach dem gestrigen Regen ist der Boden klebrig und feucht.
    Cathbad ist am Abend zuvor schließlich doch noch gegangen, nachdem Ruth ihm versprochen hat, seinen guten Ruf wiederherzustellen. Sie hätte ihm in dem Moment so ziemlich alles versprochen, um ihn endlich aus dem Haus zu haben; es war ihr unheimlich, wie er dasaß, mit seinem Zaubererumhang und diesem wissenden Lächeln. Doch jetzt, beim Graben, kann sie nichts dagegen tun, dass ihr seine Worte in einer Art Endlosschleife durch den Kopf gehen.
    Sie haben mir immer leidgetan, schließlich hatten Sie ja absolut keine Chance, wo sowohl seine Frau als auch seine Freundin dabei waren   …
    Hatten Erik und Shona während der Henge-Grabung tatsächlich eine Affäre? Shona ist absolut atemberaubend, und Ruth weiß, dass kein Mann unempfänglich für Schönheit ist (man muss sich ja nur Nelson und Michelle anschauen). Aber Erik hat doch selbst eine wunderschöne Frau, die dazu noch all seine Interessen und Leidenschaften zu teilen scheint. Ruth denkt an Magda, die sie immergeliebt und bewundert hat. Sie ist fast so etwas wie eine zweite Mutter, eine, die nicht ständig damit droht, für Ruth zu beten, oder ihr Oxfam-Ziegen zu Weihnachten schenkt. Magda mit ihren meerblauen Augen und dem aschblonden Haar, der sinnlichen Figur in Fischerpullover und verwaschener Jeans, dem glitzernden nordischen Schmuck an Hals und Handgelenken. Ruth weiß noch genau, wie sie einmal von der Göttin Freya gelesen hat, der Schutzpatronin der Jäger und Musikanten, von ihrem magischen Halsband und ihren Überredungskünsten, und dabei dachte: Das ist Magda. Man kann sich ohne weiteres vorstellen, wie Magda mit ihrer nie vergehenden Jugendlichkeit den heiligen Spinnrocken und damit die Macht über Leben und Tod in Händen hält. Wie konnte Erik das alles für eine Affäre mit Shona aufs Spiel setzen?
    Während sie weiter mit Spatel und Sieb hantiert, stellt Ruth sich die Frage, ob sie vielleicht eifersüchtig ist. In erotischer Hinsicht sicher nicht. Ihr war immer klar, dass Erik sich nie für sie als Frau interessieren wird; trotzdem hat sie aber geglaubt, etwas Besonderes für ihn zu sein. Schließlich hat er ihr doch sogar eine entsprechende Widmung in ihre Ausgabe des
Zittersands
geschrieben: «Meiner Lieblingsschülerin Ruth». Und jetzt stellt sich plötzlich heraus, dass sie gar nicht sein eigentlicher Liebling war. Ruth stößt den Spatel so heftig in den Boden, dass sie einen winzigen Erdrutsch auslöst, was ihr einen entsetzten Blick von der

Weitere Kostenlose Bücher