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Totenpfad

Totenpfad

Titel: Totenpfad Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elly Griffiths , Tanja Handels
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wurden, die Straßen voller Tränengas und Transparenten, die verzweifelten Bemühungen, die Polizeikette nicht reißen zu lassen, die Studenten, die ihm ins Gesicht spuckten, und die schmale Seitenstraße, wo Stephen Naylor tot aufgefunden wurde. Naylor war noch neu bei der Staffel, er war erst zweiundzwanzig und mit einem Küchenmesser erstochen worden. Und dann kam James Agar Nelson entgegengewankt, mit glasigem Blick, in der Hand das blutige Messer, als würde es gar nicht zu ihm gehören.
    «James Agar war schuldig», sagt er knapp.
    «Er hat sich im Gefängnis das Leben genommen», sagt Ruth. «Erik gibt dir die Schuld daran. James Agar hat bei ihm studiert. Er sagt, du hättest ihm den Mord angehängt.»
    «Bullshit. Es gab ein gutes Dutzend Zeugen. Agar warschuldig, da besteht kein Zweifel. Willst du mir allen Ernstes erzählen, dass Anderssen diese Briefe, diesen ganzen   … Mist hier wegen Agar geschrieben hat?»
    «Das sagt zumindest Shona. Sie sagt, dass Erik dich hasst und dir bei den Ermittlungen im Fall Lucy Downey Steine in den Weg legen wollte. Er dachte, die Briefe würden dich aus dem Konzept bringen, so wie die angeblichen Briefe von Jack the Ripper damals die Polizei in Yorkshire aus dem Konzept gebracht haben.»
    «Er wollte also, dass der Mörder davonkommt?»
    «Für ihn bist du auch ein Mörder.»
    Ruth sagt das fast ausdruckslos, ohne ihm zu zeigen, wie sie selbst darüber denkt. Und plötzlich ist Nelson nur noch zornig, auf Ruth und Erik und diese Shona, all diese Akademiker, die sich, genau wie die anderen gottverdammten Linken, grundsätzlich auf die Seite der Bösen schlagen und nie auf die Seite der Polizei.
    «Du siehst das vermutlich genauso», sagt er mit bitterer Stimme.
    «Ich weiß doch gar nichts darüber», erwidert Ruth erschöpft, und Nelson fällt auf, wie müde sie aussieht. Sie ist sehr blass, ihre Hände zittern. Er wird ein wenig weicher.
    «Und Malone?», fragt er. «Er hat ein Gedicht auf James Agar geschrieben. Weißt du noch? Er hat es mir als Handschriftprobe gegeben.»
    «Cathbad war mit James Agar befreundet», sagt Ruth. «Sie haben zusammen in Manchester studiert.»
    «Hatte er auch etwas mit den Briefen zu tun?»
    «Er hat sie eingeworfen», sagt Ruth. «Erik hat die Briefe mit Shonas Hilfe geschrieben, und Cathbad hat sie dann an verschiedenen Orten eingeworfen. Er hat uns doch erzählt, er hätte als Postbote gearbeitet.»
    «Und die letzten Briefe? Ich dachte, Anderssen war gar nicht mehr hier.»
    «Offenbar hat er sie Cathbad gemailt, und der hat sie dann ausgedruckt und aufgegeben.»
    «Hast du schon mit Anderssen geredet?»
    «Nein.» Ruth blickt zu Boden. «Ich habe mit Shona geredet und bin dann gleich zu dir gekommen.»
    «Warum bist du nicht erst zu Anderssen gegangen?»
    Ruth hebt den Kopf und sieht Nelson direkt in die Augen. «Weil ich Angst vor ihm habe», sagt sie.
    Nelson beugt sich vor und greift nach ihrer Hand. «Ruth. Glaubst du, Anderssen hat Lucy und Scarlet umgebracht?»
    Und Ruth antwortet, so leise, dass er es kaum hört: «Ja.» 

 
    Die Geräusche sind wieder da, aber diesmal ist sie vorbereitet. Mit ihrem Stein in der Hand kauert sie sich hin, bereit zum Sprung, sobald sich die Falltür öffnet. Als er mit dem Essen nach unten kommt, starrt sie auf seinen Hinterkopf, während er die Teller auf den Boden stellt. Was wäre die richtige Stelle? Oben, wo das Haar so strähnig ist? Oder hinten am Nacken, der so schrecklich rot und wund aussieht? Er dreht sich um und sieht sie an, und sie fragt sich, ob es nicht vielleicht so am besten wäre, mitten ins Gesicht, zwischen die Augen, mitten hinein in seinen ekligen Mund, quer über seinen fiesen, zuckenden Hals.
    Er untersucht sie, was sie überhaupt nicht leiden kann. Er schaut ihr in den Mund, befühlt ihre Armmuskeln, sie muss sich vor ihm drehen und nacheinander die Beine hochheben.
    «Du bist gewachsen», sagt er. «Du brauchst neue Kleider.»
    Kleider. Das Wort erinnert sie an etwas. An einen Duft, genau. Einen sanften, tröstlichen Duft, einen Stoff, der sich seidig und weich an ihr Gesicht drückt, den sie zwischen Daumen und Zeigefinger reibt. Er aber meint das, was sie am Leib trägt: ein langes, kratziges Oberteil und eine Hose, die ihr plötzlich zu kurz vorkommt. Unten ragen ihre Beine ein ordentliches Stück hervor. Sie sind weiß wie das Innere von Zweigen. Eigentlich sehen sie aus, als könnten sie sie kaum tragen, doch das tun sie. Sie hat Laufen geübt, immer im Kreis

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