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Totenpfad

Totenpfad

Titel: Totenpfad Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elly Griffiths , Tanja Handels
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herum in diesem kleinen Raum, auf der Stelle, hin und her. Bald wird sie richtig laufen müssen, das weiß sie.
    Er schneidet ihr die Nägel mit diesem komischen roten Messer, das er immer in der Tasche hat. So ein Messer hätte sie auch gern.
Wenn sie eins hätte, dann würde sie   … Aber dann wird sie ganz rot im Gesicht, und ihre Gedanken geraten durcheinander, und sie kann nicht mehr weiterdenken.
    «Mach dir keine Sorgen wegen der Geräusche», sagt er zu ihr. «Das sind nur   … Tiere.»
    Tiere. Hund, Katze, Maus, Pferdchen, Kribbel-Krabbel-Spinne kriecht ins Rohr hinein. Sie sagt nichts, betastet nur den Stein in ihrer Tasche. Sie mag es, wenn sie sich ein bisschen daran weh tut, nur ein kleines bisschen.
    Er mustert sie. «Alles klar mit dir?», fragt er.
    Sie gibt ihm keine Antwort, lässt nur den Kopf so weit hängen, dass sie ihn nicht mehr sehen muss. Ihre Haare sind lang und riechen nach Staub. Manchmal schneidet er ihr mit dem kleinen Messer auch die Haare. Sie muss an ein Märchen denken, in dem jemand an einem Seil aus Haaren entkommt. Ob sie genug Haare hat, um eine Leiter daraus zu machen? Aber eigentlich klingt es nicht so, als wäre das wirklich möglich; wahrscheinlich ist so etwas nur im Märchen möglich. Entkommen. Ist das auch nur im Märchen möglich?
    Und darum sagt sie nichts. Als er fort ist, füllt die Stille den Raum, schlägt mit ihren Schwingen an die Wände. Sie bekommt Kopfweh davon.

24
    Ruth sitzt in Nelsons Büro, einen Becher mit ungenießbarem Kaffee vor sich. Es ist kalt in dem hohen Zimmer. Sie trägt noch immer die weite Armeehose, die sie für die Ausgrabung angezogen hat, doch den dicken Pulli hat sie dummerweise ausgezogen, als sie nach Hause kam. Das alles scheint ihr inzwischen Tage zurückzuliegen. Ihr Mantel ist tropfnass und außerdem viel zu dünn. Hätte sie doch bloß ihren Südwester aufgesetzt oder einen Anorak angezogen! Sie legt die Hände um den Plastikbecher. Immerhin ist er warm.
    Nelson ist verschwunden, um ein paar Beamte zusammenzutrommeln, die Erik verhaften sollen.
Erik verhaften.
Das hat den Klang des Unmöglichen: Wie kann es sein, dass Erik der Verdächtige in einem Mordfall ist und Ruth diejenige, die ihm die Polizei auf den Hals hetzt? Das alles ist völlig verrückt, ein Albtraum. Eben saß sie noch in ihrem kleinen Haus am Salzmoor, bereitete ihre Vorlesungen vor, ärgerte sich über ihre Mutter und hörte Kulturradio, und jetzt steckt sie plötzlich mittendrin in diesem Drama aus Mord und Verrat. Es kommt ihr vor, als hätte sie versehentlich die falsche Taste auf der Fernbedienung gedrückt und würde jetzt nichts lieber tun, als wieder zu der langweiligen Sendung über Mischkulturen und Fruchtwechsel zurückzuschalten.
    Nelson kommt zurück ins Zimmer. Er hat Judy im Schlepptau, die Polizistin, die Ruth bei der Beerdigung kennengelernt hat.
    «Also gut», sagt er und greift nach seiner Jacke. «Auf geht’s. Ich fahre mit Cloughie im ersten Wagen. Ruth, Sie kommen mit Judy im zweiten. Aber steigen Sie auf keinen Fall aus dem Wagen. Ist das klar?»
    «Ja», antwortet Ruth beleidigt. Sie würde ihn gern daran erinnern, dass sie nicht zu seinen Untergebenen gehört.
    Die Wagen fahren in die Dunkelheit. Es regnet immer noch: Sanfter, aber stetiger Nieselregen glitzert im Licht der Scheinwerfer. Sie lassen King’s Lynn hinter sich und folgen der Küstenstraße, vorbei an verlassenen Campingplätzen und verbarrikadierten Familienhotels. Ruth lehnt die Stirn an das kalte Fenster und denkt daran, wie Norfolk beim ersten Mal auf sie gewirkt hat, in jenem Sommer, als sie mit Zelt und Schlafsack im Gepäck zusammen mit Erik und Magda vom Bahnhof in Norwich hierherkam und das Salzmoor in seiner ganzen abendlichen Pracht vor ihnen lag: der Sandstrand, der sich über Kilometer zu erstrecken schien, das Meer als schwache bläuliche Linie am Horizont. Wie hätte sie damals ahnen können, dass es einmal so endet? In einem dahinrasenden Polizeiwagen, auf dem Weg, ihren einstigen Mentor des Mordes zu beschuldigen   …
    Nelsons Wagen hält vor der harmlosen Strandpension, die sich Sandringham nennt, obwohl Ähnlichkeiten mit dem Landsitz der Queen wohl nur in den hochfliegenden Träumen der Inhaber existieren. Stilistisch ist der traditionelle Kitsch vertreten: Spitzengardinen, Gartenzwerge vor der Tür, ein Buntglaseinsatz darüber. Nelson und Sergeant Clough steigen die mosaikverzierten Stufen hinauf, und Clough klingelt Sturm.
Gästehaus Sandringham
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