Totenprinz - Westendorf, C: Totenprinz
die Füße weh, Anna. Machen wir Schluss für heute.«
Die Kommissarin deutete auf ein kleines, direkt an der Elbe liegendes Restaurant.
»Kommen Sie, Weber, diesen Laden schauen wir uns noch an, danach ist Feierabend.«
Als sie das Lokal mit dem Namen »Fischerhütte« betraten, wurde Anna sogleich von einer wohligen Wärme umfangen, die von einem in der Ecke stehenden alten Kachelofen ausging. Wie gerne hätte sie jetzt ihre Beine unter einem der rustikalen Holztische ausgestreckt, etwas Leckeres gegessen und dazu ein Glas guten Rotwein getrunken. Stattdessen kramte Anna ihren Dienstausweis aus der Tasche und begann mit der Befragung. Doch leider konnte sich auch in der »Fischerhütte« niemand an Monika Jacobsen erinnern, bis Verena Guse, die Pächterin des Restaurants, plötzlich meinte:
»Wenn ich es recht bedenke, habe ich an diesem Abend gar nicht gearbeitet, Frau Kommissarin. Da hat nämlich der Rudi den ganzen Service geschmissen, und er besitzt, ganz im Gegensatz zu mir, ein phänomenales Personengedächtnis. Am besten, Sie kommen morgen Abend noch einmal her, wenn der Rudi da ist.«
»Wie geht es denn Jan überhaupt?«, wollte Paula wissen, während sie zwei Stunden später eine wunderbar nach frischem Dill duftende Krabbensuppe vor Anna auf den Tisch stellte. Du hast schon lange nichts mehr von ihm erzählt.«
Anna, die sich eben noch über den Anblick ihrer von Kopf bis Fuß in einem ausgeleierten, babyblauen Fleece-Anzug steckenden Freundin amüsiert hatte, räusperte sich verlegen. Ihre kurze Affäre mit Jan, dem jüngeren Bruder ihres Mannes Tom, war zwar beendet, für Anna aber dennoch nicht richtig abgeschlossen. Denn in ihren
Gedanken beschäftigte sie Jan nach wie vor, weshalb sie auch beschlossen hatte, ihn so gut wie möglich aus ihrem Leben zu verbannen.
»Weiß nicht, aber ich glaube, bei denen ist alles im grünen Bereich«, meinte sie und führte den ersten Löffel Suppe zum Mund. »Ansonsten hätte mir Tom sicherlich schon etwas Gegenteiliges erzählt.«
»Nanu, warum so förmlich, Anna? So kenne ich dich gar nicht, erst recht nicht, wenn es um Jan geht«, reichte Paula ihrer Freundin den Brotkorb hinüber. »Habt ihr beide denn etwa gar keinen Kontakt mehr zueinander?«
»Seitdem Jan den Verein gewechselt hat und mit seiner brasilianischen Flamme zusammen in London lebt, hält er es offensichtlich nicht mehr für nötig, sich bei mir zu melden. Und außerdem wüsste ich auch gar nicht, wozu das gut sein sollte«, gab Anna heftig zurück, während sie ein Stück Weißbrot zwischen den Fingern zerkrümelte.
»Oha, da scheine ich mit meiner Frage ja in ein Wespennest gestochen zu haben. Tut mir leid, meine Süße, ich wollte dich nicht verärgern. Möchtest du auch Wein?«
»Überhaupt gehen mir diese ganzen glücklichen Paare um mich herum zunehmend auf die Nerven«, ging die Kommissarin über Paulas Frage hinweg. »Denn sobald du etwas genauer hinter die Kulissen schauen kannst, merkst du, dass das ganze Getue meist eh nicht echt ist. Da siehst du, wie dir ein total verliebt wirkendes Paar auf der Straße entgegenkommt. Du denkst: Was haben die beiden doch für ein Glück, und wirst dir im gleichen Augenblick deiner Einsamkeit bewusst. Aber vielleicht wollte der Mann, weil es Samstagnachmittag und Bundesligazeit ist, eigentlich viel lieber mit seinen Kumpeln
in seiner Stammkneipe sitzen und Fußball gucken. Und nur weil seine Frau sich beklagt hat und er Angst haben muss, dass ihre samstägliche Nummer gestrichen wird, wenn er nicht spurt, hat er sich zu einem gemeinsamen Stadtbummel breitschlagen lassen. Und du bist den beiden ausgerechnet in dem Moment begegnet, in dem sie ihm sagt, wie viel ihr sein Entgegenkommen bedeutet, und er in Vorfreude auf den Sex am Abend glücklich vor sich hin lächelt.« Als Anna Paulas irritierten Blick bemerkte, fügte sie grinsend an: »Könnte doch sein, oder?«
»Klar, aber was hat das denn mit Jan zu tun? Willst du mir etwa durch die Blume stecken, dass seine Beziehung zu Paola unglücklich ist? Oder bezog sich deine ›allgemeine‹ Beobachtung eher auf Tom und dich?«
»Ach, ich weiß nicht, vielleicht liegt meine miese Laune einfach nur an der Arbeit oder daran, dass ich älter werde. Früher hatte ich so viel Lebensfreude in mir, doch die ist mir schon seit geraumer Zeit abhandengekommen. Wie gern würde ich endlich einmal wieder richtig lachen, Paula, oder eine Kissenschlacht mit Tom veranstalten, so wie früher. Aber
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