Totenprinz - Westendorf, C: Totenprinz
er, der für seinen Lebensunterhalt hart arbeiten musste, selbst noch in seiner Freizeit irgendwelchen Sachzwängen ausgeliefert war. Ja, es kam einer Nötigung gleich, wenn mittlerweile sogar schon sein Hobby in Arbeit auszuarten drohte.
Die Schlampe war wirklich selbst schuld, wenn er bereits heute handelte, dachte er, als er mit seinem Koffer in der Hand durch den Schneematsch der winterlichen Laubenkolonie schlidderte. Schließlich hatte sie ihn dermaßen naiv und unbedarft gleich bei ihrem ersten Treffen zu sich eingeladen, dass er gar nicht anders konnte, als ihr zu geben, was sie verdiente. Gut, er würde die Sache mit Hanne also heute zu Ende bringen, doch danach wollte er sich unbedingt ein paar Tage frei nehmen. Denn das darauffolgende Projekt erforderte zweifellos noch ungleich mehr Fingerspitzengefühl und könnte sogar sein Meisterstück werden. Ja, mit seiner griechischen Heldin würde er sich alle Zeit der Welt lassen.
Während er unbeobachtet durch die Gartenpforte schlüpfte, stellte er sich vor, wie das Weib in der Laube schon seit einer Weile geschäftig irgendeinen Fraß zusammenbrutzelte. Höchstwahrscheinlich in der Hoffnung, dass die Liebe auch in seinem Fall durch den Magen gehen würde. Möglicherweise entwickelte Hanne, während sie kochte, bereits naive Visionen einer gemeinsamen Zukunft, in der auch ein Urlaub zu zweit seinen Platz hatte. Was für ein grauenhafter Mist, grinste er gehässig. Wenn sie wüsste, dass es zu keiner weiteren Verabredung mehr kommen würde, würde sie sich wohl
kaum noch die Mühe machen, ausgerechnet ihn beeindrucken zu wollen.
Eigentlich hasste er nichts mehr, als andere Menschen weinen und schreien zu sehen. Daher war es mehr als logisch und verständlich gewesen, dass er der Schlampe beim ersten Mal den Mund verklebt und erst ganz zum Schluss zum Wesentlichen gekommen war. Erst nachdem sie sich nicht mehr gerührt hatte, war er in der Lage gewesen, seine Träume in die Tat umzusetzen. All seine Fantasien von solch einer Intensität, dass sie ihn schon seit langem nicht mehr schlafen ließen, forderten immer dasselbe: Nicht nur Melli, alle Fotzen gehörten aufgerissen!
Beim ersten und auch noch beim zweiten Mal war ihm das Töten unglaublich schwer von der Hand gegangen. Eine schlimme Viecherei war es gewesen, mit ansehen zu müssen, wie Menschen starben, selbst wenn es nur Schlampen waren. Und doch hatte er gespürt, dass er aus diesen Erfahrungen gestärkt hervorgegangen war. Mehr noch, er hatte eine Menge daraus gelernt und war sich mittlerweile ganz sicher, das Richtige zu tun. Aber hatten ihn die Taten auch mutiger gemacht? Würde seine Courage diesmal ausreichen, den Weg bis ganz zu Ende zu gehen?
Unbemerkt schlich er sich zur Tür der Gartenlaube hinein, um wieder auf der schäbigen Ausziehcouch vor dem gedeckten Tisch Platz zu nehmen. Anschließend versteckte er seinen Koffer schnell unter einem neben dem Sofa stehenden Sessel, klebte seinen Kaugummi unter die Tischplatte und nahm sich ein Stück Brot aus dem Korb, das er genüsslich zu essen begann. Als Hanne im
selben Augenblick mit geröteten Wangen und einer gestreiften Schürze, die sie sich über ihr tief ausgeschnittenes Kleid gebunden hatte, aus der Kochnische kam, hielt sie zwei Cocktailgläser in den Händen. Zum ersten Mal an diesem Abend erwiderte sie seinen tiefen Blick und lachte dabei ein wenig nervös.
»Möchtest du auch einen Aperitif vor dem Essen, Gregor?«
»Das Untersuchungsergebnis von dem Stück Plastikplane am Elbstrand liegt jetzt vor, Anna«, stürmte Weber am nächsten Morgen zur Bürotür herein. »Die Haare stammen zweifelsfrei von einem Menschen, und der KTU ist es auch gelungen, die DNS zu isolieren. Außerdem konnten erneut Rückstände einer alkoholhaltigen Flüssigkeit bestimmt werden. Und was glauben Sie wohl, von was für einer?«, schaute Weber seine Kollegin erwartungsvoll an und gab dann gleich selbst die Antwort. »Champagner natürlich, und zwar in der gleichen Zusammensetzung, wie sie die KTU auch auf der Kleidung des Opfers festgestellt hat.«
»Das heißt also, Monika Jacobsen hat am Elbstrand tatsächlich ein Gläschen Sekt mit ihrem Mörder getrunken«, überlegte Anna und registrierte gleichzeitig, dass Weber sie nach wie vor siezte. Daher beschloss sie, ohne weiter darauf einzugehen, es fürs Erste ebenfalls beim Sie zu belassen. »Dann muss der Mann wirklich zwei Gesichter haben. Was glauben Sie, Weber, haben wir es möglicherweise doch mit
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