Totenrache und zehn weitere Erzählungen
Pulverfass machten. Seine Mutter hatte seine Jähzornigkeit als Überbleibsel bezeichnet: als Überbleibsel des heißen Eingeborenenblutes, das in seinen Venen zirkulierte. Seine gelegentlichen Überreaktionen waren gefürchtet.
Darryl wusste, wenn wirklich Blut und Gene sich in ihm erhitzten, dann war das an solch einem Ort eine unheilvolle Verbrüderung. Country House bot ihm nur unzureichende Verstecke, in denen er sich verschanzen konnte. Zu oft waren Leute in seiner Nähe, Wärter und die anderen Jungs; und Fredric, der sich, wie es schien, einen Spaß draus machte, Darryl zur Weißglut zu reizen. Irgendwann würde er seine Frustration nicht mehr unter Kontrolle haben. Sie war dann wie ein schlechtes Essen, das in seinen Eingeweiden nagte.
So oft er konnte, zeigte er ein makelloses Lächeln, manchmal selbst bei unpassenden Gelegenheiten, und vermied jeglichen Ärger mit den Wärtern, aber seine scheinbare Ausgeglichenheit verbarg nur dürftig den Orkan der Gefühle, der ihn so unruhig machte, als läge er auf einem wimmelnden Bett aus Ameisenhügeln. Erst in dieser Zeit wurde ihm bewusst, wie überfüllt mit Stumpfsinn ein Leben in Gefangenschaft war, und er schwor, sich niemals wieder in eine Zelle sperren zu lassen, ganz gleich, was immer auch geschehen mochte. Darryl ertappte sich dabei, wie er diesen Schwur gelegentlich vor sich hin murmelte, wie ein Gebet.
Die Verantwortlichen gaben sich alle Mühe hier. Sie glaubten, aus den Jungs bessere Menschen machen zu können. Viele von ihnen waren Sozialarbeiter, und ihre Waffen hießen Lächeln und ausgefeilte Rhetorik. Wahrscheinlich, so dachte Darryl manchmal voller Verachtung, waren diese Leute die wahren Gefangenen. Sie glaubten an ihre Theorien und sahen nicht ihr Versagen.
Es gab gemeinsame Tischzeiten, in denen Gespräche geduldet wurden, vormittags standen Schulstunden auf dem Programm, und nach der Mittagspause wurde Darryl mit einigen anderen in die Werkstatt getrieben, wo altes Mobiliar repariert werden musste. Viel Mühe für Jungs, die so zerstört waren wie die Möbelstücke in ihren zernarbten Händen aber eines musste selbst denen, die an eine Zukunft glaubten, klar sein: Es geschah hinter Mauern und verschlossenen Türen. Lachen, Arbeit und Furzen: Alles verlor sich im Nichts.
Darryl hätte dies verschmerzen können. Er hatte immer wenig Vertrauen in die Macht der Vernunft gesetzt – sie war eine übellaunige Stichwortgeberin, wenn es um Geschäfte und simples Überleben ging -, aber sie war der Auslöser gewesen, dass er sich schweren Herzens dazu entschlossen hatte, die Monate bis zu seiner Entlassung abzusitzen. Es war von Anfang an ein brüchiger Kompromiss gewesen, und nun, da neue Hoffnung in ihm aufflammte und der Plan in ihm gereift war, zerfiel er zu Staub.
Er wollte raus: Dieser Gedanke war so deutlich in seinem Kopf, dass er manchmal fürchtete, er könne ihn unbewusst ausgesprochen haben.
In den Stunden und Tagen nach der Begegnung zwischen Cunningham, der sich seither seltsam unauffällig verhielt, und Fredric suchte Darryl nach einem ersten Anzeichen einer Veränderung in den sonst so belanglosen Zügen des Jungen. Aber so sehr er im Verborgenen zu Fredric hinüberstarrte, konnte er keinen Hinweis finden, dass in ihm ebenfalls ein Plan reifte. Fredric schaute nicht von seinem Teller auf, nicht von den Schulbüchern, schaute nachmittags nicht von den zerborstenen Stühlen auf. Er verhielt sich wie sonst auch immer – wie jemand, der die Welt nicht wahrnehmen wollte, womöglich in der Hoffnung, sie würde ihn dann ebenfalls nicht wahrnehmen. Wenn er arbeitete, dann geschah das so aufreizend langsam, dass ein ungeduldiger Zuschauer versucht war, ihm die Arbeit zu entreißen. Er ging langsam, er aß langsam – alles, was Fredric tat, geschah mit einer eigenartigen Behäbigkeit, als würde sein Leben in Zeitlupe ablaufen.
Vielleicht besaß Fredric das Talent zum Schauspielern, dachte Darryl. Er wusste, vielleicht als einziger Mensch, dass der traurige Anblick, den sein Mithäftling bot, seine einzige Waffe war. Darryl hatte ihn sie in scheinbar unbeobachteten Momenten ablegen sehen. Morgens in den Waschräumen, wenn jeder, nur Darryl nicht, auf sein eigenes verkümmertes Spiegelbild fixiert war. Oder nachts: Nachts hatte er Fredric lächeln sehen, während Darryl über ihn gekauert und ihn mit bohrendem Blick studiert hatte; hatte ihn flüstern und säuseln gehört, während sonst kein Wort aus ihm herauszubekommen war. Sie alle
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