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Totenrache und zehn weitere Erzählungen

Titel: Totenrache und zehn weitere Erzählungen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Klaus Frank
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Raumes.
    Darryl musste warten, wie all die Tage schon zuvor. Er trat an eines der Fenster etwas abseits der Tür und zündete sich eine Zigarette an. Rauchen im Gebäude war verboten, überall hingen eindeutige Verbotsschilder, aber im Augenblick war ihm der Ärger, den er sich dabei einbrocken konnte, völlig egal. Was würde er tun, wenn Fredric endlich die Schlüssel hätte? Selbstverständlich musste er dann weiterhin im Schlepptau des Jungen bleiben und ihn keine Sekunde aus den Augen lassen. Sich einfach an ihn dranhängen, das war Darryls ganzer Plan, und obgleich er solch einer simplen Vorgehensweise ein wenig misstraute, fand er nur eine Schwachstelle in diesem Plan: Fredric. Wenn der die Nerven verlor, bedeutete dies das Ende der Idee, aber immerhin würde Darryl dann seine Hände in Unschuld waschen können.
    Einige Male hörte er Cunninghams schmutziges Lachen, in dem soviel Verrohung mitschwang, dass es Darryl kalt den Rücken runterlief. Dazwischen vernahm er auch Wortfragmente, meist Beleidigungen, die sich wohl gegen den Jungen richteten. Darryl runzelte die Stirn. Mit einer solchen Reaktion hatte er nicht gerechnet. Cunningham schien vor Zorn jegliche Vorsicht zu vergessen.
    „Scheiße!“, murmelte Darryl und zündete sich eine neue Zigarette an. Angestrengt blickte er in den weitläufigen Hof hinaus, der im Laufe vieler Jahre ein gänzlich anderes Gesicht bekommen hatte. Der kleine Sportplatz war noch nicht sehr alt, noch immer wurden regelmäßig Bäume gerodet, um Platz für neue Bauten zu schaffen. Country House verlor mehr und mehr sein ursprüngliches Gesicht, das auf vor Alter vergilbten Fotos überall zu betrachten war.
    Darryl wurde aus seinen Gedanken gerissen und wandte sich um, als er Cunningham einen Ruf ausstoßen hörte, der eine Mischung aus Gelächter und einem angsterfüllten Winseln war. Irgendetwas stürzte polternd zu Boden, dann drang ein spitzer Aufschrei Fredrics durch die Tür, die gleich darauf aufgerissen wurde. Der Junge sprang mit einer solchen Heftigkeit über die Schwelle, als hätte der Raum ihn angewidert ausgespuckt. Darryl stand am Fenster und war nicht fähig, sich zu rühren, aber Fredric beachtete ihn überhaupt nicht, obgleich seine Augen weit aufgerissen waren und alles aufzusaugen schienen. Er hastete laut schluchzend in den Gang hinein. Darryl blickte aus dem Fenster und sah Fredric wenige Augenblicke später auf den sonnenüberfluteten Innenhof taumeln. Annähernd in der Mitte des Platzes sank er in die Knie und verbarg sein Gesicht in den Händen.
    Er kann weinen, dachte Darryl voller Überraschung, er ist tatsächlich in der Lage, Gefühle zu zeigen. Er sah einen Wärter – war es Miller oder Bright? - aus einem anderen Trakt treten. Der Mann blickte in Fredrics Richtung, aber bevor er auf ihn zuging, zündete er sich gemächlich eine Zigarette an. Nun erkannte Darryl, dass es Miller war. Es würde sicher nicht lange dauern, bis weitere Schaulustige heranwaren. Der krasse Zusammenbruch des Jungen wäre eine Sensation, und sie würden sich darauf stürzen wie Fliegen, die einen Kadaver ausgemacht hatten.
    Darryl schaute zur Tür hinüber. Er erinnerte sich, dass es vorhin den Anschein gehabt hatte, der Raum habe Fredric über die Schwelle geschleudert. Nun war ihm so, als würde das Archiv ihn locken wollen, und ehe er sich versah, ging er bereits auf die verheißungsvolle Dunkelheit jenseits der Schwelle zu.
    Komm und sieh, schien sie zu rufen, was mit Cunningham geschehen ist.

    Trotz seiner Neugierde, der er sich nicht verweigern konnte, war es eine schmerzliche Empfindung für Darryl, erneut einen Fuß in den Raum zu setzen. Der Geruch des trockenen Staubes, der nur den künftigen Zerfall vorwegnahm, ließ eine Lawine aus aufflammenden Erinnerungen auf ihn niederrumpeln, und er hielt verschreckt den Atem an, als er die Parade der Bilder anschaute, die vor seinem inneren Auge vorüberzog. Er konnte Fredric nur bewundern, dass es ihm vorhin scheinbar so ganz ohne Mühe gelungen war, den Raum zu betreten.
    Es war nicht völlig finster. Jemand, vermutlich Cunningham, hatte einen Vorhang vom einzigen, vor Schmutz starrenden Fenster gezerrt, um ein wenig Licht einzulassen. Es fiel auf die von Tüchern verhüllten Konturen sehr alter Möbel, die vermutlich nie mehr repariert würden. Bevor Darryl den Mann sah, hörte er ihn einen schmerzerfüllten Schnaufer ausstoßen. Cunningham kauerte an der gegenüberliegenden Wand, verborgen von übereinander

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