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Totenrache und zehn weitere Erzählungen

Titel: Totenrache und zehn weitere Erzählungen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Klaus Frank
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zur Seite, um nicht im Blut zu waten. Ohne offensichtliche Regung beobachtete er Cunninghams Sterben. Der Schnitt an dessen Kehle war grauenhaft tief. Wenn der Schädel des Mannes nach hinten wegkippte, klaffte er auf wie ein zweiter grinsender Mund ohne Zähne und spie Darryl leise blutige Laute entgegen. Der Mörder konnte das Blut hören, das auf den Boden klatschte, es bespritzte die Wand und die staubigen Möbel, die in der Nähe standen. Cunningham röchelte und umklammerte mit beiden Händen seinen Hals, als wollte er die Wunde notdürftig versiegeln. Schließlich kippte er wie in Zeitlupe zur Seite weg und stürzte in die Lache seines eigenen Blutes. Seine fetten Beine zitterten haltlos und trampelten einen unsinnigen Code gegen einen alten Schreibtisch, der ins Wanken geriet. Die Panik in seinen Augen – große, weiße Schlachtviehaugen – war greifbar, und für den Bruchteil einer Sekunde empfand Darryl ein tiefes Mitgefühl. Aber er redete sich ein, dass für jemanden, der die Tat nicht nur begangen, sondern von ganzem Herzen gewollt hatte, kein Gefühl heuchlerischer sein konnte als Mitleid. Das war etwas für morgen, vielleicht für schlaflose Nächte, jetzt jedoch war es besser, fühllos zu bleiben bis auf den Grund seiner Seele.
    So wartete Darryl geduldig, bis Cunningham sein Leben mit einem tiefen Brummen, das aus dem geöffneten Hals drang, aushauchte. Dann beugte er sich vorsichtig über den Leichnam, der nach Todesangst stank, und schnitt mit dem Messer die Gürtelschlaufe entzwei. Mit der Klingenspitze hievte er den Schlüsselbund in die Höhe, wischte ihn am sauberen Ärmel von Cunninghams Uniform ab und steckte ihn in seine Hosentasche. Das Messer ließ er achtlos fallen.
    Ein letzter prüfender Blick noch auf den Leichnam, in dessen aufgerissenen Augen noch immer viehische Panik und tiefer Schmerz zu lesen waren, aber Darryl konnte nicht behaupten, dass der Anblick irgendetwas in ihm rührte – mit Ausnahme der befriedigenden Gewissheit, es geschafft zu haben.

    Ganz nach Darryls Vermutung war Fredrics Zusammenbruch in der Zwischenzeit von beinah allen Bewohnern der Verwahranstalt bemerkt worden. Die Möglichkeiten der Kommunikation schienen bemerkenswert gut zu funktionieren. Als Darryl sich zu dem murmelnden und abenteuerliche Thesen aufstellenden Gewimmel hinzugesellte, war er einer der Letzten.
    „Was ist geschehen?“, fragte er einen ständig nach altem Schweiß riechenden Typen namens Trump.
    „Irgendetwas mit Cunningham“, erklärte Trump bereitwillig und deutete auf Fredric. „Aber der will nicht so recht mit der Sprache raus. Er sagt, es wäre was Schreckliches mit Cunningham geschehen.“
    „Aha“, murmelte Darryl und gab sich keine Mühe, sonderlich überrascht zu tun. Trump war niemand, an dem er sein Talent verschwenden wollte. Darryl spürte das Gewicht des Schlüsselbundes in seiner Hosentasche. Das euphorisierende Gefühl, dass er Country House jederzeit verlassen konnte, reizte ihn zum Lachen, und er musste an Dinge denken, die ihm nicht behagten, damit es ihm nicht entschlüpfte. Sicher, man würde ihn nach seiner Flucht suchen, aber das bereitete ihm kein Kopfzerbrechen. Er kannte mehr Möglichkeiten zum Unterschlüpfen, als er ausschöpfen konnte, und das war ein beruhigendes Gefühl.
    Darryl stellte sich auf die Zehenspitzen, um Fredric zu sehen. Für einige Sekunden gelang es ihm, bis erneut Schultern und flatternde Haarsträhnen ihm den Blick verwehrten. Das Bild, das Darryl gesehen hatte, überraschte ihn nicht: Der Junge kauerte dort vorn am Boden und nahm nichts wahr von dem, was um ihn herum geschah. Vermutlich würde selbst die Neuigkeit, dass Cunningham nicht nur verletzt war, sondern tot und ausgeblutet wie ein Stück Vieh am Boden des Möbelarchivs lag, keine sichtbare Erregung in ihm auslösen. Die Verschlossenheit, die er an den Tag legte, wurde im gleichen Maße unnachgiebiger, wie das Verhör durch die Wärter, die ihn umstanden, an Ruppigkeit gewann.
    „Es hat keinen Sinn“, sagte da vorn schließlich Miller, der Wärter, der zuerst auf Fredric aufmerksam geworden war, „der erzählt uns nichts. Suchen wir nach Cunningham.“
    „Irgendwo muss er ja sein“, sagte ein anderer.
    „Was, glaubst du“, wandte Trump sich an Darryl, während mehrere Suchtrupps aufgestellt wurden, „ist mit Cunningham geschehen? Also, ich hab´ das Gefühl, es hat ihn erwischt.“
    „Erwischt?“, sagte Darryl. „Du meinst, er könnte...“
    „Ja“, zischte

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