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Totenrache und zehn weitere Erzählungen

Titel: Totenrache und zehn weitere Erzählungen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Klaus Frank
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Adrenalinschub, der sie durchrauschte, es hielt den Funken in ihr am Glimmen.
    Die Konturen in der klaren Luft waren scharf und sie konnte sogar die Furchen der Anspannung in den Gesichtern der Männer erkennen, die in sicherer Entfernung standen und ihre Waffen im Anschlag hielten. Die meisten trugen des Sonnenlichts wegen jetzt dunkle Brillen. Wie unwirklich es war, von rund zwei Dutzend Männern, die Schusswaffen trugen und ihre Augen verdeckten, angegafft zu werden. Anna spürte Schweiß sich verflüssigen, als sie sich dessen bewusst wurde. Die Männer konnten vermutlich jede Regung in ihrem Gesicht erkennen und deuten, aber Anna konnte nichts dergleichen. Auf beschämende Weise fühlte sie sich bis auf den tiefsten Grund ihrer Empfindungen entblößt und ausgelotet.
    Nach und nach machte sich Annas Blase bemerkbar. Noch war das Gefühl nicht so schlimm, dass ihr Denken davon beherrscht wurde, aber sie wusste, bald wäre es ein echtes Problem, für das es kaum eine Lösung gab. Bald würde der Drang so übermächtig sein, dass sie ihm nicht mehr Einhalt gebieten konnte. Was dann?, fragte sie sich und lauschte der rauschenden Leere in ihrem Kopf, die diese Frage aufwarf. Als handele es sich um einen schlechten Scherz, bekam sie einen trockenen Mund, der ganz plötzlich mit dicken Lagen Löschpapier verstopft schien, und der Gedanke an Wasser, selbst wenn es fad und verdorben wäre, brachte sie fast um die Beherrschung.
    „So unruhig plötzlich?“, erkundigte sich Hohlberg. „Was ist los?“
    „Nichts“, log Anna.
    „Reden Sie schon!“, sagte er. Seine Stimme klang freundlich, fast spielerisch, aber etwas darin erweckte den Anschein, dass Hohlbergs Wohlwollen eng gezogene Grenzen hatte und sich leicht ins Gegenteil umkehrte.
    „Meine Blase drückt“, antwortete Anna, und damit ihre Äußerung nicht so schwer in der Luft lag, schob sie nach: „Und meine Füße schmerzen.“ Das war keine Lüge, stellte sie fest, nachdem sie eine flüchtige Inventur gemacht hatte. Sie schmerzten tatsächlich; ebenso ihr Rücken und ihr Nacken.
    Hohlberg lachte auf. Sein Atem roch schlechter als je zuvor; Anna rümpfte die Nase und war sich bewusst, dass die Männer ihre Mimik mühelos deuten konnten, als würden sie in einem offenen Buch lesen. „Denkbar schlechter Zeitpunkt jetzt für so ein Theater, meine Hübsche. Hab´ da leider keine Lösung für Sie. Werden schon noch eine Weile warten müssen.“ Weiterhin sagte er nichts mehr, aber das Metall der Klinge an ihrem Hals war beredt genug.

    Sechzehn Uhr.
    Unversehens wurde Annas Kopf am Haar nach hinten gezerrt; das geschah mit solch brutaler Wucht, dass sie beinah das Gleichgewicht verloren hätte. Sie schrie gequält auf, während Hohlbergs Hand sich tiefer in ihre dunklen Locken wühlte und ihren Kopf wild umherschleuderte.
    „Hört zu!“, brüllte er, „ich verlange einen Fluchtwagen!“ Speicheltröpfchen sprühten Anna ins Gesicht. „Habt ihr verstanden? Einen Fluchtwagen und Geld. Ich will Fünfzigtausend. In einer Stunde will ich beides sehen!“
    Das Megafon erwachte mit einem jämmerlich fiependen Laut zu neuem Leben. „Hohlberg, in einer Stunde schaffen wir das nicht. Sie müssen...“
    „Eine Stunde, sonst stirbt sie!“ Das Messer bohrte sich in das verheißungsvoll-straffe Fleisch ihres Halses, in dem der Kehlkopf wie ein gefangener Vogel hüpfte und gurgelnde Laute produzierte. „Ich schlitz sie auf! Glaubt es mir!“ Er wandte sich ihr zu, beugte seinen Kopf über ihren und schaute ihr in die Augen; ihre waren vom Schock geweitet, seine blickten starr und dunkel wie Haifischaugen. „Sag ihnen, dass ich dir weh tue!“
    „Ja“, wimmerte sie.
    „Sag es laut!“, herrschte er sie an.
    „Ja, Sie tun mir weh!“, kreischte sie. „Sie tun mir weh!“
    Wie aus der Ferne und aus der Sicht einer Zuschauerin nahm sie wahr, dass sich, erst zögerlich und dann, nach einem vergeblichen Versuch, dem Drang Einhalt zu gebieten, in einem heißen, endlosen Strom ihre Blase entleerte. Sie spürte die brennenden Blicke der Polizisten, die sahen, wie sie sich beschmutzte, aber in ihrem Kopf war kaum Platz für ein lästiges Schamgefühl, sosehr war er angereichert mit einem Panikgeheul, das schreiend über jeden Gedanken hinwegfuhr.
    „Eine Stunde!“, rief Hohlberg und ließ sie los. Ihr Kopf wippte nach vorn, als säße er auf einer straff gespannten Feder. Sie keuchte und rang wie eine Ertrinkende nach Luft, und doch glaubte sie, dass kein Hauch in ihren

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