Totenruhe
nicht verstanden. Wen suchen Sie?«
Stoll wurde wieder ungehalten. »Ich suche Sie. So, und jetzt zum Mitschreiben: Wie kommen Sie dazu, einem unbekannten Toten den Namen Karl Preul anzuhängen?«
Krause atmete schwer durch. »Ich hänge jedem Toten einen Namen an den großen Zeh. Das ist in unserer Branche so üblich und hilft, Verwechslungen zu vermeiden. Obwohl das eigentlich nicht besonders wichtig ist, weil die Toten doch eingeäschert werden und die Asche schließlich immer gleich aussieht. Anverwandte überprüfen das nicht, wie sollten sie auch? Außerdem hat Preul keine Anverwandten, der ist ein Auftrag vom Sozialamt.«
Peter Stoll schüttelte den Kopf. »Das haben Sie sich so gedacht. Sie haben keinen Preul vom Sozialamt, sondern einen toten Unbekannten, vielleicht auch einen unbekannten Toten, wenn das eher dem Jargon Ihrer Branche entspricht.«
Krause nickte unwillig. »Ja, das war der erste Stand. Aber das wurde dann geändert. Dann war es Karl Preul. Fragen Sie doch beim Sozialamt nach.«
»Das habe ich bereits getan. Die kennen keinen Karl Preul.«
»Doch«, widersprach der Bestatter energisch. »Telefonisch habe ich die Änderung bekommen.«
Stoll fixierte den Mann scharf. »Können Sie das beweisen? Haben Sie eine Aufzeichnung des Anrufs in Ihrer Telefonanlage?«
»Aber nein, das kann mein Telefon nicht. Die Anlage ist zwanzig Jahre alt und leistet immer noch gute Dienste. Also, was wollen Sie?«
»Beweise will ich.« Stoll war klar, dass er die nicht bekommen würde. Der Bestatter war ein Fossil. Modernität war im Transportgewerbe zwischen Diesseits und Jenseits wohl verpönt. Der Mann schien glaubwürdig, genau wie der Sozialamtsleiter. Da hatte also ein Anonymus angerufen und den Namen Karl Preul ins Geschehen gebracht. Warum? Welche Interessen waren hier im Spiel? Aus Jux und Dollerei macht niemand so etwas, das wusste Peter Stoll aus jahrzehntelanger Berufserfahrung.
»Die Leiche des angeblichen Karl Preul ist beschlagnahmt, die wird vorerst nicht eingeäschert. Ich schicke einen Experten von uns vorbei. Ist das klar?« Krause nickte bekümmert und sah seine tariflich geordneten Gebühren davonschwimmen.
»Dieses Gespräch bleibt unter uns, verstanden?«, kanzelte Stoll den Bestatter ab. Der behielt seine standesgemäße Höflichkeit, die wie eine Drohung klang. »Vielleicht kann ich mal für Sie tätig werden, mein Herr.« Stoll dachte an eine Urne und ein Grabkreuz, in das unwiderruflich sein Name eingemeißelt war. »Schönen Dank, mir geht es noch ganz gut. Empfehlen Sie mich Ihrem dereinstigen Nachfolger.« Lieber dachte er an einen kaukasischen Kollegen, ein Unikum mit derben Trinksprüchen. Der hatte Stoll verblüfft, als er zu einem Wasserglas voll Wodka verkündete: »Ich trinke auf Deinen Sarg, den wir aus einer hundertjährigen Eiche zimmern, die wir morgen pflanzen wollen.« Das ist wenigstens nicht hinterhältig, dachte er, und drückt gleichzeitig wahre Freundschaft aus.
17.
Die angeordnete medizinische Untersuchung brachte Überraschendes zu Tage. Akten einer drei Jahre zurückliegenden stationären Untersuchung des Karl Preul hatten sich durch die Akribie polizeilicher Ermittlungen angefunden. Damit ausgerüstet bestätigte ein Gerichtsmediziner, dass der im Beerdigungsinstitut Himmelfahrt verwahrte Leichnam zu Lebzeiten niemand anders als Karl Preul gewesen war. Die Polizei zeigte sich mit diesem Ergebnis überhaupt nicht zufrieden. Denn die hatte auch ermittelt und herausgefunden, dass Karl Preul vor ziemlich genau drei Jahren verstorben war. Ein Totenschein, ausgestellt in der nahegelegenen Gemeinde Ronnenberg, bestätigte das in aller Form, wie das Gesetz es befahl.
Ein Widerspruch in sich selbst. Eine Situation, die Peter Stoll hasste. Das würde zu umständlichen Ermittlungen führen, die nichts Vernünftiges bringen konnten, aber seine ganze Truppe in Bewegung hielten. Er verfluchte den Moment, da er sich aus freien Stücken ohne jede Not in die Sache Karl Preul reingehängt hatte. Schuld war der Lindenkurier mit seiner Berichterstattung. Man sollte der Presse mal lange Leine geben, beschloss der Hauptkommissar. Sollen die doch herausfinden, was sich hier zusammenreimt. Und wenn man den verrückten Pastor Sauerbier noch mit einigen Informationen fütterte, konnte das Chaos komplett und die Akte geschlossen werden. Sauerbier hatte immerhin beim Stellvertreter des großen Chefs einen Stein im Brett. Man musste nur darauf achten, dass der Nutzen
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