Totenruhe
sondern eine Denunziation? Denken Sie an die Geschichte mit dem Kriegerdenkmal. Vielleicht sind wir wieder mit Betriebsblindheit geschlagen.«
»Fragen wir die Witte«, schlug Lindemann vor. »Das ist die Cleverste weit und breit.«
»Und die Hübscheste«, ergänzte der Pastor süffisant.
26.
Kriminal-Hauptkommissar Peter Stoll hätte sich gern mit Robert Humdorf unterhalten. In seinen Ermittlungen war er auf dessen Namen gestoßen und ringsum tauchten Fragen auf, die zu beantworten waren. Preuls Tod war für den Ermittler längst kein tragischer Unglücksfall mehr. Wer immer die Schnapsflasche des Alten akribisch gesäubert hatte, und das war auf keinen Fall Preul selbst, sollte sich doch mal über die letzten Stunden im Leben des Erfrorenen äußern. Außerdem hatte ein Vögelchen gezwitschert, dass Humdorf einiges mit den Satanisten des Bergfriedhofs zu tun hatte. Das Vögelchen war ein Informant, auf den man sich seit Jahren verlassen konnte. Die Satanisten hatten Zugang zur verschlossenen Kapelle, Preul nicht. Wieso wollte der dort übernachten, wo er doch von keiner Seite in das Gebäude eindringen konnte? Möglicherweise hatte da einer Regie geführt, dem es nicht um ein frostsicheres Nachtquartier für Preul ging, sondern um ein Bühnenbild für Polizei und Öffentlichkeit? Die Ereignisfelder Preul und Satanisten berührten sich auffällig. Das waren schon merkwürdige Satanisten, dachte der Polizist, malen Runen an Kapelle und Cordes-Grabstätte, türmen aber, wenn ein Dutzend alter Damen mit ihrem Pastor anrücken, um den christlichen Glauben zu schützen. Über den Ereignisfeldern sah er Robert Humdorf. War der ein Schlüssel zur Erkenntnis? »Nun, befragen wir ihn höchstpersönlich«, murmelte Stoll und setzte den Kriminal-Hauptmeister Böker in Bewegung, denn Humdorf war telefonisch nicht zu erreichen.
Bökers Bericht einige Stunden später machte Stoll stutzig. »Humdorf ist nicht auffindbar. In seiner Wohnung ist er nicht, und Nachbarn sagen, dass sie ihn schon mehrere Tage nicht mehr gesehen haben. Interessant ist dabei, dass mehrere Hausbewohner ungefragt mitteilten, dass die Ehefrau des Humdorf schon seit Wochen nicht mehr in der Wohnung sei. Bei denen habe es öfter gekracht, manchmal lauter als der Fernseher. Ich bin dann ins Seniorenzentrum an der Ihme gefahren, da lebt Benno Schütte, der Schwiegervater von Humdorf. Über seine abwesende Tochter wusste der Bescheid. Die sei zum ›Eheurlaub‹ – das Wort ist von Schütte – die sei also zum Eheurlaub zu einer Freundin nach Bayern gereist. Er habe erst gestern noch mit ihr telefoniert. Vorerst würde die nicht zurückkommen. Über Humdorf wusste Schütte gar nichts. Er hofft nur, dass der nicht seiner Tochter nachgereist sei um die Ehe zu kitten. Dabei kann nämlich nach seiner Meinung nichts Gutes herauskommen. Ansonsten hat der eine ziemlich ausgewogene Meinung. Schuld an der Krise sind nach Auffassung von Schütte beide, seine Tochter genauso. Sollen wir den Humdorf zur Fahndung ausschreiben?«
»Nein, nein, auf keinen Fall.« Stoll wehrte entsetzt ab. »Dafür gibt es keinen Grund. Es gibt keinen Anfangsverdacht, sondern ein Bündel Fragen. Im Übrigen habe ich die dringende Vermutung, dass uns Humdorf räumlich näher ist als das Bundesland Bayern.«
27.
Humdorf war tatsächlich sehr viel näher. Seit drei Tagen hatte er bei seinem Freund Alder Quartier bezogen. Er betrachtete es nicht als Flucht, für ihn waren es Urlaubstage. Karl-Heinz Alder war Kunsthändler und Auktionator, und die Geschäfte mussten bestens laufen, denn sein Haus in Lauenau gehörte zu den schönsten des Ortes. Humdorf hatte zum Wohlergehen des Kunsthändlers häufig beigetragen.
Als Journalist spürte er Bilder auf, deren Wert ihren Besitzern nicht geläufig war. Die freuten sich über den guten Preis, den Humdorf vermittelte, und Alder machte schließlich den großen Schnitt. Natürlich war Humdorf finanziell beteiligt. Es verstand sich von selbst, dass Alder für Humdorf immer ein Quartier zur Verfügung hatte. Und der kam gern hierher.
In unmittelbarer Nähe befand sich ein Lokal, das Humdorf als Lieblingslokal bezeichnete. Etwas oberhalb des Ortes in Deister-Hanglage lockte der Felsenkeller mit Restaurant und Bierstube. Rustikal, derbe gescheuerte Tische und das entsprechende Essen mit nostalgischer Geschmacksnote, die anderswo von Spitzenköchen längst einer zweifelhaften Moderne geopfert war. Rupp-Bräu war dazu das hausgebraute
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