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Totenruhe

Totenruhe

Titel: Totenruhe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hans Jörg Hennecke
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Familienausflug.«
    Sauerbiers Augen wanderten durch die Menge. Da war sie wieder, die uniformierte Frau. Er sah sie schräg gegenüber vor dem Jazz-Club. Die Losung auf ihrem Schild war deutlich lesbar. »Gott sieht dich!« Die drei Worte ließen ihn spürbar zusammenzucken. Natürlich sieht Gott mich, er sieht auch alle anderen. Aber die anderen sehen ihn nicht, weil sie diese Frau nicht beachten. War sie ein Engel? Eine Botin Gottes? Eine Botschaft für ihn oder gar eine Warnung?
    Niemand kümmerte sich um die Demonstrantin. Sie verschwand nach kaum einer Minute in der Straße zum Eiskeller. Sauerbier verzichtete darauf, seine Entdeckung am Info-Stand zu erwähnen. Vielleicht hatte das auch mit seinen Augen zu tun. Ein Schauer lief ihm über den Rücken, trug er doch seit vier Wochen eine Überweisung zum Augenarzt in der Tasche. Immer häufiger verschwamm es ihm vor den Augen. Also: Untersuchung auf grünen und/oder grauen Star. Davon konnte man blind werden, hieß es. Gerade in seinem Alter sei man besonders gefährdet. Sauerbier hatte panische Angst vor Blindheit. Er hatte aber auch einen Horror vor medizinischer Behandlung seiner Augen. Herabsetzung des Augeninnendrucks. Operative Entfernung der natürlichen Linse, Einsatz einer künstlichen, da war man doch tagelang blind, eingeschlossen in sich selbst. Sauerbier spürte einen klaustrophobischen Anfall. Angstschweiß brach aus. Aber war das wirklich eine Massenkrankheit? Wie häufig sah man denn Altersgenossen mit Hund und Blindenstock durch Linden wandeln? War das nicht ausgesprochen selten? Die Überweisung zum Augenarzt galt bis Quartalsende. Kommt Zeit, kommt Rat. Herrgott, verlass mich nicht!
    Aus der gegenüberliegenden Gastronomie des Mittwoch-Theater kam ein schwitzender junger Mann und stellte auf dem Tapeziertisch der Bürgerinitiative ein Tablett mit schäumenden Pils-Gläsern ab. »Besser ein gepflegtes Pils, als ein geiles Bier! Prost Herri, meine Damen und Herren. Bitte achten Sie anschließend auf das Leergut. Ich komme wieder.«
    Werendt griff sich ein Glas und prostete in die Runde. Natürlich hatte er die Erfrischung bestellt und sogleich bezahlt. Die Stimmung hellte sich auf. Ist doch immer wieder schön wenn »der Berg ruft«, dachten alle. Karl Wecke strahlte. »Das ist Linden, da ist man immer noch Bürger und nicht nur Verbraucher.«
    Sauerbier trank ohne abzusetzen. Er hatte einen quälenden Durst. Das kalte Bier war eine Labsal. Er hätte durchaus mehr vertragen, aber das Tablett war leer. Vielleicht sollte man einen kleinen Spaziergang zum Turmgarten machen, dem Kriminaler Stoll kurz zuwinken und ein Großes ordern. Dabei wäre auch die Tombola zu besuchen. Schließlich finanzierte die das ganze Fest und da durfte man sich nicht lumpen lassen. Fünf Lose, das Stück zu einem Euro, sollten es schon sein.
    »Lindemann, wir müssen doch auch endlich mal zur Tombola, kommen Sie mit?« Lindemann wusste aus langer Erfahrung, dass beim Pastor ein Ja erfolgreicher wirkte als ein Nein. Der Info-Stand war gut besetzt, also konnte man sich auch mal den Rest vom Fest anschauen, redete er sich ein.
    »Vorher trinken wir im Turm einen großen Humpen«, instruierte ihn der Pastor.
    »Aber wir haben doch gerade ein Glas …«
    »Ein Glas verdampft, ehe es am Gaumen vorbei ist«, wurde er aufgeklärt.
    Polizeihauptkommissar Stoll war im weiten Areal der Freiluftgastronomie nicht zu entdecken. Sauerbier schnupperte in verschiedene Richtungen und resignierte schließlich.« Lindemann war zufrieden. Als sie zwei Plätze an einem Tisch fachsimpelnder Seifenkisten-Väter ergattert hatten, sah er Werendt mit der Witte den Garten betreten. Sie schauten sich um, entdeckten wohl keine freien Plätze mehr und verzogen sich in das Innere des alten Wehrturms. Wenige Minuten später betrat Rudolf Humdorf den Garten, schaute nur kurz und betrat zielstrebig dem Turm.
    »Wissen Sie, Lindemann«, dozierte Pastor Sauerbier, der davon nichts mitbekommen hatte, »unsere etwas unglückliche Urnenaktion auf dem Friedhof sollten wir in neuer Form aufleben lassen. Wir laden die Bevölkerung ein, eine Urne von uns zu übernehmen, sie mit der Asche ihrer Verblichenen zu befüllen und am Totensonntag gemeinsam beizusetzen.«
    »Wollen Sie Himmelfahrt brotlos machen? Im Übrigen, wer hat denn gerade Asche seiner Verblichenen zur Hand?«
    Der Pastor sinnierte. »Gestorben wird immer.« »Aber nicht unbedingt rechtzeitig zu Totensonntag.«
    »Tombolalose«, rief eine junge Frau

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