Totenruhe
dich gar nichts an. Du gehst jetzt zur Toilette und puderst deine Nase für den ansehnlichsten Mann im Tandure.
Am Tisch in der Fensternische schaute Gabriele Klopp ihren Begleiter erstaunt an. »Kennen Sie die Frau?«
»Ja, natürlich. Sie nicht?« Die Klopp verneinte. »Das ist Simone Witte. Die macht für den NDR Regionalfilme zu historischen Themen. Zurzeit produziert sie etwas über Linden. Ich habe sie in einigen Fällen beraten.«
»Muss mir das jetzt peinlich sein, dass ich die Film-Frau nicht kenne?«
Humdorf lächelte beruhigend. »Sie haben kaum etwas versäumt, denke ich. Erzählen Sie bitte weiter, wie der Bezirksrat den Bergfriedhof wieder zum Friedhof machen will.«
Als Simone Witte die Toilette verließ, steckte sie ihr Handy wieder in die Jackentasche. Ihr Gespräch war aufschlussreich gewesen. Werendt und Cordes trafen sich nicht nur halbjährig zur Bilanzanalyse. Allein in der vergangenen Woche hockten sie zweimal zusammen, und da ging es hitzig und lautstark um ein ganz anderes Thema. Man stritt sich um die schwarzen Sheriffs bei Cordes. Die haben Tag und Nacht das Sagen, hatte Werendt ihr vor wenigen Minuten offenbart.
34.
Lindemann traf Nachbar Stokelfranz an den Hausbriefkästen. »Ich habe Ihnen doch von dem Kreuz erzählt, über das Gott mit Oma Kasten in Verbindung tritt. Das Kreuz mit dem schiefen Querbalken. Haben Sie schon rausgekriegt, was das bedeutet?«
Lindemann nickte. Er war dem Nachbar eine Auskunft schuldig. »Das ist eine germanische Rune. Im Alphabet steht sie für das N, aber daraus leiten sich noch andere Bedeutungen ab, zum Beispiel Not und Gefahr. Warum jemand die Rune an die Kapelle gemalt hat, ist aber unklar.«
»Nicht nur an die Kapelle.« Stokelfranz wurde eifrig. »Ich habe genau so ein Kreuz auf der Rückseite des Grabmals von Cordes gefunden. Da ist alles zugewachsen, man kommt nur schwer ran. Da sieht das Kreuz doch keiner.«
Ist ja interessant, dachte Lindemann. Aber das musste der Nachbar nicht unbedingt wissen, sonst würde er überhaupt keine Ruhe geben. Er verließ das Haus und wartete einige Minuten, bevor er Sauerbier anrief. Der wollte gerade zum Friedhof, um einige Fotos zu machen. Man verabredete sich auf einer der Bänke, die den Friedensengel im Karree umstanden. Lindemann rief Monika an. Erfahrungsgemäß konnte das ein Treffen mit Sauerbier deutlich abmildern. Würde sie wollen? Ja, sie komme gleich. Unter der Bedingung, dass man nicht wieder bis zum Sonnenuntergang auf dem Friedhof blieb. Lindemann versprach es.
Kaum hatte er die Gräberstätte betreten, sah er einen eiligen Friseur Aufderheide in Richtung Kapelle verschwinden. Ansonsten waren zahlreiche ältere Damen mit Gießkanne und Harke an ihren Familien-Grabstätten aktiv. Lindemann grüßte freundlich im Vorbeigehen. Sauerbier saß bereits auf der Bank und blies beeindruckende Rauchwolken in den sommerlichen Himmel. »Tag, Lindemann«, rief er schon von Weitem.
»Ich habe noch mal über das Loch nachgedacht, dieses Grab, mit dem uns Humdorf oder jemand anders reingelegt hat. Das war nicht Humdorf. In der letzten Zeit war so oft vom Cordes-Schatz die Rede, vielleicht meinte einer die Stelle zu kennen und hat dort gegraben. Zur Tarnung in Grabform. Was meinen Sie?«
Lindemann fand das zu konstruiert. »Aber auf jeden Fall denke ich, das war keine Aktion gegen Ihre Demo. Nur um uns zu ärgern, macht niemand eine so schweißtreibende akkurate Arbeit. Wir sollten uns nicht zu wichtig nehmen.« Der Pastor schien enttäuscht. »Wichtig sind wir schon«, bemerkte er trotzig. »Richtig«, bestätigte Monika, die eben eintraf. Lindemann informierte über die Entdeckung seines Nachbarn Stokelfranz. Die Meldung elektrisierte Freundin und Pastor. »Vielleicht kann man da was finden … Geheimnisse sind faszinierend … Das könnte der vergrabene Schatz des alten Cordes sein …« Man mutmaßte durcheinander, bis Lindemann als Naheliegendes empfahl, eine Ortsbesichtigung vorzunehmen. Mit gesteigertem Tempo eilte das Trio zur Familiengrabstätte der Cordes, um das Kreuz in Augenschein zu nehmen. Scheue Blicke in alle Himmelsrichtungen, doch die Luft war rein. Vorsichtig stapfte die Gruppe über das Grab, immer am Rande der Zone, wo man die Särge vermutete. Hinter dem Grabmal wurde es eng, dichte Zweige und Buschwerk versperrten den Weg.
»Wie soll ich da durchkommen, ich bin doch kein Eichhörnchen«, stöhnte der Pastor. »Müssen Sie denn da durch? Die Rune kann man auch so sehen.«
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