Totenruhe
und schwenkte einen Plastikeimer. »Nur einen Euro das Los. Greifen Sie zu.«
»Hierher«, rief Sauerbier, und die junge Frau folgte freudig seiner Stimme.
»Fünf Stück. Und Sie auch fünf Stück, Lindemann?« Beide Männer zogen aus ihren Geldbörsen die kleinste Banknote und griffen in den Eimer. Sauerbier hatte mindestens zehn Lose in der Hand und sortierte die Hälfte zurück. Lindemann griff einzeln und die Frau bedankte sich. Beide rissen die kleinen Papierröllchen auf, die an ihren Enden mit einer Klammer versehen waren.
»Niete … Niete … 139 steht hier, das ist ein Gewinn«, kommentierte der Pastor seine Durchsicht. Er fand noch einen weiteren Gewinn. Lindemann hatte nur eine Niete unter seinen Losen. Er war zufrieden.
»Dann auf«, befahl Sauerbier, neugierig auf die Preise, die ihm die Glücksfee zuschanzte. Er hatte den Bildband »Linden lebt!« des angesehenen Fotografen Ralf Hansen gewonnen, und das stimmte ihn froh. Lindemann war um eine Kaffeetasse, ein Bierglas und zwei Kugelschreiber reicher. Alles trug unübersehbar Werbeslogans Lindener Institutionen.
36.
Nun noch das Seifenkistenrennen, und die Party war ein voller Erfolg, dachte Pastor Sauerbier, als sein Mobiltelefon klingelte.
»Herr Pastor, bitte kommen Sie sofort. Es ist etwas schreckliches passiert. Mein Mann liegt unter dem Stein …«
»Ja, wer ist denn da?« Sauerbier wurde unwirsch. Er hasste die Möglichkeiten des Telefons, unpräzise Angaben an präzise Empfänger zu senden.
»Sellner. Ich bin die Frau von Fritz Sellner. Sie sind doch mit meinem Mann befreundet. Kommen Sie bitte ganz schnell in die Werkstatt.«
»Liebe Frau, beruhigen Sie sich. Wie kommt Ihr Mann unter den Stein?«
»Das weiß ich doch nicht. Als ich ihm das Essen brachte, war der Stein noch oben. Alles ist blutig. Bitte rufen Sie einen Arzt, ich kann nicht mehr, ich bin fix und fertig.«
»Lindemann, wo steht Ihr Auto? Wir müssen sofort in die Werkstatt des Steinmetzes. Der ist verunglückt. Notarzt? Ist dort der Notarzt? … Steinmetz Sellner, Köthnerholzweg, Ecke … Ja, Sie kennen den Laden? Es ist eilig.«
Lindemann hielt sich an die Straßenverkehrsordnung und das machte den Pastor nervös. »Wenn jeder Rettungswagen führe wie Sie, könnten wir unseren Friedhof noch in diesem Jahr vollständig belegen.«
»Ich bin kein Rettungswagen«, knurrte der Angesprochene. »Außerdem: Ich will auch auf den Bergfriedhof, aber noch nicht in diesem Jahr, schon gar nicht heute.«
Sauerbier hörte nicht hin. Er schaute verbissen auf die Straße, als könne er dadurch das Tempo beschleunigen. Als sie schließlich die Werkstatt des Steinmetzes erreichten, stand der Rettungswagen schon vor der Tür. Sauerbier sprang aus dem Wagen, ehe Lindemann eingeparkt hatte. Er rannte zum Unfallort.
»Frau Sellner …« Die Frau fiel tränenüberströmt in die Arme des Seelsorgers. Zwei weißbekleidete Männer waren über Fritz Sellner gebeugt. Ein Grabstein lag blutverschmiert neben ihm.
»Der Mann ist tot«, meinte einer der Männer. An die Frau gewandt fragte er, ob sie die Polizei informiert habe.
»Polizei? Wieso die Polizei?« Die Frau wand sich aus den Armen des Pastors und schaute ungläubig.
»In derartigen Fällen muss Fremdeinwirkung ausgeschlossen werden. Das ist nicht unser Ressort.« Er notierte eifrig in einem Vordruck, der auf eine Schreibunterlage geklemmt war. »Welche Krankenkasse?«
»Lindemann, rufen Sie die Polizei.« Der Pastor behielt die Übersicht.
»Stoll?« »Nein, Sie wählen ganz einfach 110. Personalfragen sind dann deren Sache.«
Er schaute auf die Szene. Sellner lag vor seinem Werktisch am Boden, neben ihm die Preul zugedachte Grabplatte. Sie wird auf dem Tisch gestanden haben, bevor sie von dort auf den Steinmetz fiel. Die Platte war aus solidem Granit. Kann so etwas einfach umfallen? Zumal wenn ein fachkundiger Steinmetz daran arbeitet?
Sellners Frau hatte auf einem Sofa Platz genommen und schluchzte still vor sich hin. Lindemann hielt Abstand, weil er eines genau wusste: Zuerst will die Polizei Spuren. Kaum gedacht, kamen zwei uniformierte Polizisten in die Werkstatt. Nach einigen Blicken auf den blutigen Schauplatz steuerte einer direkt auf den Pastor zu. »Sie haben den Toten gefunden, Herr Pastor Sauerbier?«
Der winkte ab. »Nein, nein, Frau Sellner rief mich. Fragen Sie Frau Sellner. Ich muss an die frische Luft, eine qualmen. Kommen Sie, Lindemann.«
Vor der Tür liefen sie Kriminalhauptkommissar Stoll in die
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