Totenruhe
musste er warten, bis sie mir ein Besucherabzeichen angesteckt hatte.
»Danke, Phil«, sagte ich zu ihm, als wir auf der anderen Seite einer Tür waren, die in einen breiten Flur führte.
»Sie ist ein Ekel. Aber der Coroner, Dr. Woolsey, hält große Stücke auf sie. Außerdem muss ich Sie warnen - im Gegensatz
zu den meisten seiner Berufskollegen ist er vollkommen humorlos.«
Lefebvre hatte einen großen Umschlag dabei. »Die Akten über die Ducanes?«, fragte ich.
»Nein, nur ihre zahnärztlichen Röntgenbilder. Die haben wir schon, seit sie verschwunden sind.«
»Sie haben diese alten Unterlagen ziemlich schnell gefunden.«
Er schmunzelte. »Ich wusste eben, wo ich suchen muss.«
Ich stellte eine begründete Vermutung an. »Norton hatte sie bei sich zu Hause.«
Er lachte leise. »Und woher wollen Sie das wissen?«
»In Bakersfield habe ich einige Polizisten kennen gelernt. Und ich habe Geschichten darüber gehört, dass so etwas vorkommt - nicht nur dort, sondern in vielen Polizeidienststellen. Manchmal geht einem Detective ein Fall nach, und er fühlt sich in persönlicher Weise davon betroffen. Dann nimmt er die Akten mit nach Hause. Mitunter landen sie dann auf einem Dachboden oder in einem Schließfach.«
»Ja, wenn wir Glück haben, bekommen wir die Akten zurück, ehe die Witwe sie auf den Müll wirft. Hatten Sie was Festes mit jemandem von der dortigen Polizei?«
»Nein«, sagte ich, zu überrascht, um die Antwort zu verweigern. Ich wollte eigentlich noch mehr dazu sagen, überlegte es mir aber anders und hielt den Mund. Schließlich entsprach ein schlichtes »Nein« ja der Wahrheit.
Lefebvre sagte nichts dazu. Allerdings war ich nicht so dumm, mir einzubilden, dass er aus meiner Körpersprache oder meiner Miene nichts herauslesen konnte.
»Um auf die Akten zurückzukommen«, sagte ich, um das Gespräch in unverfänglichere Gefilde zu steuern. »Dieser Fall ist Norton also nachgegangen?«
»Allerdings. Genau wie O’Connor. Norton hat erzählt, O’Connor und Corrigan hätten ihn in dieser Sache nie vom
Haken gelassen. Zu meinem Glück haben die Geschichten über Max Ducane - die aus jüngster Zeit - Dans Interesse geweckt, und er hatte die alte Akte bereits rausgesucht.«
Matt Arden trat in den Flur. Er verbarg sein Erstaunen nicht, als er uns zusammen sah, kam uns jedoch entgegen. »Hast du die Röntgenbilder?«, fragte er Lefebvre.
»Ja.«
Matt streckte die Hand aus, doch Lefebvre gab ihm den Umschlag nicht.
»Ms. Kelly möchte gern mit Dr. Woolsey sprechen«, sagte Lefebvre.
»Das kann ich mir denken«, entgegnete Arden gereizt. »Aber der ist gerade damit beschäftigt, den Mitarbeiter zu überwachen, der die Röntgenbilder von den Toten macht.«
»Wirklich, Detective Arden?«, sagte ich. »Ich dachte, er sei damit beschäftigt, sich mit Mr. Yeager zu unterhalten.«
Es war mir eine Genugtuung zu sehen, dass ich Matt Arden nun schon zweimal in weniger als fünf Minuten überrascht hatte.
Lefebvre runzelte die Stirn. »Mitch Yeager ist hier?«
»Nein, bloß einer seiner Neffen«, antwortete Arden. »Oder vielmehr war. Er ist vor ein paar Minuten gegangen. Der jüngere.«
»Ian«, sagte Lefebvre.
»Sie kennen Yeagers Neffen mit Namen?«, staunte ich.
Lefebvre zögerte kurz. »Keiner von ihnen ist vorbestraft, falls es das ist, was Sie wissen wollten.«
»Das war nicht das, was ich wissen wollte.«
»Tja, das ist aber alles, was ich verrate.«
»Wie auch immer«, sagte Arden ungeduldig. »Aber woher Miss Kelly weiß, dass er hier war …«
»Mitch Yeager war auch hier«, unterbrach ich ihn. »Ich habe ihn draußen gesehen. Er hat in seiner Limousine gewartet, solange sein Neffe hier drin war.«
»Was haben sie denn hier gewollt?«, fragte Lefebvre.
»Glaubst du vielleicht, das hat Woolsey mir verraten?«, fauchte Arden. »Du weißt doch, wie er ist.«
Lefebvre blickte auf einmal abwesend drein, so als denke er angestrengt über ein Problem nach.
»Mir gefällt es auch nicht«, sagte Arden. »Aber ich kann den Coroner nicht daran hindern, mit einem Bürger zu sprechen.«
»Wenn die menschlichen Überreste, die Sie in der Decke gefunden haben, die von Max Ducane sind, also dem angeblich entführten Kind - ändert das eigentlich etwas daran, was aus Kyle Yeager wird?«, fragte ich.
»Das hängt von den Bedingungen des Treuhandvermögens ab«, antwortete Lefebvre.
Eine Tür ging auf, und ein grauhaariger Mann in einem dunkelblauen Anzug trat auf den Flur.
Lefebvre wandte
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