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Totenruhe

Titel: Totenruhe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jan Burke
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mit Lillian sprechen und versuchen muss, sie zu einem Sinneswandel zu bewegen.«
    »Vielleicht hast du ja mehr Glück als ich«, sagte Max.
Als Max gegangen war, fragte ich Frank, ob er in Folsom Ethan getroffen habe.
    »Du glaubst, er sitzt im Knast?«
    »Hätte er verdient, aber nein. Als er heute gegangen ist, hat er mir gesagt, dass er nach Folsom aufbricht, um Harmon zu interviewen.«
    Frank schüttelte den Kopf. »Ich weiß, dass mehrere Reporter hingefahren sind und mit ihm sprechen wollen, aber da werden nur wenige zum Zuge kommen. Harmon ist letzte Woche am Knie operiert worden, und dabei hat es Komplikationen gegeben - jetzt hat er eine Infektion. Die Ärzte haben mir versichert, dass er in ein paar Tagen zu einem längeren Gespräch imstande sein müsste, aber momentan wird er schnell müde. Das kann ich bestätigen - ich durfte zwar etwa zwei Stunden mit ihm reden, aber er ist alle paar Minuten eingenickt.«
    »Ich wüsste gern, warum der Express es sich leistet, Ethan jetzt dorthin zu schicken.«
    »Keine Ahnung. Aber sei doch froh, dass er weg ist.«
    »Stimmt.«
    »Ich meine, ein Ausflug nach Folsom - ist das wirklich so eine tolle Auszeichnung?«
    Ich lachte, aber in Wirklichkeit war es durchaus eine Auszeichnung. Ich sah es so, wie es auch die anderen in der Redaktion sehen würden - dass Ethan einen Auftrag bekommen hatte, wie er nur wenigen jungen Reportern zugetraut wurde. Ein Grünschnabel, der frisch aus dem Nest kam. Warum Lydia - oder wer auch immer sonst an dieser Entscheidung beteiligt gewesen war - glaubte, dass Ethan einer solchen Aufgabe gewachsen war, überstieg mein Vorstellungsvermögen.
    Vielleicht, sinnierte ich, käme Lydias kleiner Ikarus ja in die Versuchung, zu nah an die Sonne heranzufliegen.
    Obwohl ich mich selbst dafür schalt, dass ich mir allen Ernstes wünschte, einer meiner Kollegen möge scheitern, wünschte ich mir doch genau das.

56
    Am Montag musste ich dann einsehen, dass mein Wunsch nicht in Erfüllung gegangen war. Ethan hatte es irgendwie geschafft, mit Harmon zu sprechen, und als ich seine Reportage sah, die in der Dienstagszeitung erscheinen würde, musste ich zugeben, dass er seine Sache gut gemacht hatte. Wie man hörte, überschlug sich Wrigley vor Begeisterung darüber und beschloss, die Geschichte groß rauszubringen. Lydia beauftragte mehrere Kollegen damit, über Nebenaspekte der Sache zu schreiben, wobei sie jeden Blickkontakt mit mir vermied.
    Ich wollte wieder mit ihr ins Reine kommen, daher fragte ich sie, ob sie mit mir Mittag essen gehen würde. Sie warf mir einen Blick zu, unter dem mir mulmig wurde, nahm die Einladung aber an. Das Lokal, das wir aufsuchten, wechselte ständig den Namen und hieß momentan Lucky Dragon Burger, doch das Essen war immer gut. »Glaubst du, dass sie klammheimlich schon immer Drachen in die Burger getan haben?«, fragte ich sie.
    Es war ein schwacher Witz, und er brachte mir auch nur ein schwaches Lächeln ein.
    Nachdem wir bestellt hatten, eröffnete ich das Gespräch. »Herzlichen Glückwunsch zu deiner Erkenntnis, dass Ethan dem Thema gewachsen ist. Deswegen bist du wohl auch so gut als Ressortleiterin. Du kennst deine Leute und weißt, was sie können.«
    Sie musterte mich einen Moment lang und verschränkte dabei die Arme - ein Zeichen von Wut, welches nur wenige andere als solches erkennen würden, das mich aber erschreckte. Lydias Geburtsname ist Pastorini. Ein braves, katholisches italienisches Mädchen. Sie brauchte ihre Hände zum Reden. Wenn sie die Hände einsperrte, wusste ich, dass sie das Gefühl hatte, sich in ihren Worten mäßigen zu müssen. Ich überlegte
krampfhaft, was ich getan haben könnte, um sie so aufzubringen, als sie sagte: »Glaubst du etwa, ich war diejenige, die Ethan nach Folsom geschickt hat?«
    »Nicht?«
    »Nein. Ich hätte ihn nie dorthin geschickt. Das war Wrigleys Entscheidung.«
    »Oh.« Auf einmal fielen mir Ethans Worte wieder ein. Lydia hatte er gar nicht erwähnt. »Da habe ich wohl voreilige Schlüsse gezogen. Ich habe mich geirrt. Tut mir Leid.«
    Sie schüttelte den Kopf.
    »Hör mal, ich kann ja nachvollziehen, warum dich das wütend macht, aber …«
    »Tatsächlich?«
    »Ja. Ich habe mir eingebildet, du protegierst ihn, aber jetzt, wo ich es mir genauer überlege, hast du das gar nicht getan.«
    »Das ist das Symptom, aber nicht das Problem. Vielleicht behandle ich Berufsanfänger nicht so wie du oder unsere Altherrenriege, aber ich erkenne seine Fehler durchaus. Ich

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