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Totenruhe

Titel: Totenruhe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jan Burke
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über und zwang sich, die Wärme des Nash zu verlassen. Gerade als er bei Rondens Imperial angelangt war, hörte er Autos die Straße heraufkommen. Er drückte auf das Schnappschloss, und der Kofferraumdeckel schwang auf.
    Ein Streifenwagen des Sheriffs von San Bernardino County und Dan Nortons T-Bird hielten am Straßenrand, doch O’Connor würdigte sie kaum eines Blickes. Er bemerkte nicht einmal den Schlüsselbund, den er später als Jacks Eigentum identifizieren sollte. Er wusste nur, dass er Gus Ronden gefunden hatte, zusammengerollt in seinem futuristischen Kofferraum, steif gefroren und mit einem blutlosen Einschussloch im linken Auge.

ZWEITER TEIL
    Die Begrabenen
    Mai 1978

19
    »Mein Held ist ein Arschloch.«
    »Irene …«, protestierte Lydia sanft.
    Ich hatte es bedauernd gesagt, nicht stolz. Ich hatte mir nicht mit Absicht ein Arschloch als Helden ausgesucht. Dass er eines war, wurde mir auf die gleiche Weise klar, in der die meisten solche Entdeckungen machen: Ich lernte ihn kennen.
    Lydia, mit der ich von Kindesbeinen an befreundet war, wusste, dass ich keinen anderen meinte als Connor O’Connor.
    Aus der Ferne war mit der allmorgendlichen Zeitungslektüre meine Bewunderung für O’Connor gewachsen, bis sie die für jeden anderen Journalisten überstieg, Woodward und Bernstein eingeschlossen. Ich war während der Watergate-Jahre auf der Journalistenschule gewesen, also will das einiges heißen.
    Lydia und ich hatten schon lange vor Watergate Reporterinnen werden wollen, und für mich hatte seit jeher festgestanden, dass die Zeitung, für die ich am liebsten arbeiten wollte, der Las Piernas News Express war. Der Express war die erste Zeitung gewesen, die ich je kennen gelernt hatte. Mein Vater hatte mir ihre Kinderseite vorgelesen, ehe ich selbst lesen konnte, und mir bei den schwierigen Wörtern geholfen, als ich anfing, die Artikel selbst zu lesen. Am Ende meiner Grundschulzeit hielt ich bereits Ausschau nach Artikeln von O’Connor, da ich wusste, dass sie gut waren. Ich wollte so werden wie er.
    Als Lydia und ich in der vierten Klasse waren, beschwatzten wir unsere Nachbarn dazu, Abonnements unserer selbst
fabrizierten Zeitung zu bestellen, die es dann auf genau eine Ausgabe brachte. Schwester Mary Michael erwischte uns dabei, wie wir heimlich die Hektographiermaschine der Schule benutzten, um Ausgabe Nummer zwei zu vervielfältigen, und durchkreuzte die Veröffentlichung.
    In der Junior-Highschool, der Highschool und auf dem College arbeiteten wir gemeinsam bei der Schülerzeitung mit. Lydia war oft Chefredakteurin. Mir war das recht. Ich wollte nichts als Reporterin sein und schreiben wie der Mann, der diesen Wunsch in mir geweckt hatte, dessen Worte mich auf meine Laufbahn gelockt hatten. O’Connor.
    Das Arschloch.
    »Eigentlich ist er keines«, widersprach Lydia.
    Ich schüttelte nur den Kopf.
    »Ich gebe ja zu, dass du allen Grund hast, wütend zu sein.«
    Natürlich hatte ich allen Grund, wütend zu sein. Der legendäre O’Connor hatte mir soeben einen Dolchstoß versetzt.
    »Wärst du drüben beim Feuilleton glücklicher?«
    Ich funkelte sie an.
    »Nein«, sagte sie. »Dumme Frage.«
    »Du gehörst selbst auch in die Nachrichtenredaktion, das weißt du so gut wie ich.«
    »Ich möchte das nicht mitmachen, was du auf dich nimmst«, erwiderte sie.
    Sie meinte die Schikanen, die ich in der Nachrichtenredaktion über mich ergehen lassen musste.
    Mein erster Job nach dem College führte mich nicht zum Express. Der Express hatte nur im Feuilleton etwas frei, nicht bei den Nachrichten. Meine erste Frage bei jedem Vorstellungsgespräch war: »Schreiben bei Ihrer Zeitung Frauen über das aktuelle Tagesgeschehen?« Die Antwort war selten ein uneingeschränktes Ja. Beim Express lautete die Antwort: »Früher schon, aber zurzeit nicht. Vielleicht lassen wir Sie irgendwann mal ran, wenn uns Ihre Arbeit im Feuilleton gefällt.«

    Irgendwann war mir nicht früh genug, und so ging ich nach Bakersfield, wo beim Californian eine Stelle im Nachrichtenressort frei war. Die Stelle hatte noch den zusätzlichen Vorteil, dass ich vor der Blamage flüchten konnte, die mir drohte, als mich ein Widerling sitzen ließ, mit dem ich während der Collegezeit gegangen war - der erste in der Galerie meiner amourösen Fehltritte.
    Lydia blieb in Las Piernas und nahm eine Stelle beim Feuilleton an. Es war noch gar nicht so lange her, dass das Feuilleton unter »Frauenseiten« firmiert hatte. Lydia schrieb übers Kochen.

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