Totenschleuse
Westwärts einmal Verkehrsgruppe 5, die ›Heaven Of The Seas‹ über 10100 BRZ wird um vierzehn Uhr fünfzehn Audorf-Rade passieren. Die ›Christian Molsen‹ erhält Wartezeit und liegt vor Signal. Freie Fahrt in Kudensee. Ende der Durchsage.«
»Wir müssen einen Kreuzfahrer passieren lassen. In der Weiche Audorf-Rade, da ist eine Parkbucht. Da wir Richtung Holtenau fahren, nehmen wir Südseite Höhe Ochsenkoppel«, sagte der Lotse zu Malbek.
Malbek warf einen Blick auf die Karte, die er eingesteckt hatte, ein Messtischblatt, das die nähere Umgebung Schirnaus mit dem Kanal zeigte. Eine Fügung Gottes, dachte der Pastorensohn Malbek. Die Weiche Audorf-Rade für die ostwärts fahrenden Schiffe lag auf der Höhe des Leichenfundortes.
Als sie die Eisenbahnhochbrücke Rendsburg von der Nordseite des Kanals passierten, hörte man bruchstückhaft den Moderator der Schiffbegrüßungsanlage, der gerade etwas zum Zielhafen der »Christian Molsen« in Finnland sagte und danach die deutsche Nationalhymne zur Kommandobrücke heraufscheppern ließ. Spaziergänger winkten. Neben dem Südanleger der Schwebefähre standen ungefähr dreizehn schicke Wohnmobile des aktuellen Jahrgangs, deren Besitzer Kaffee trinkend und kauend auf Kreuzfahrer warteten. Sie winkten hinter den Fensterscheiben. Auch er hatte hier mit seiner Tochter Sophie vor einigen Wochen gestanden, in seinem alten Ford Transit 150 mit 2,5 Liter Diesel, neben all den nagelneuen »Turbohütten«. Sophie hatten die gut gefallen, und am Geld würde es nicht scheitern. Aber die Erinnerungen, die Malbek mit dem alten »Skipper« verbanden, wie sie ihn beide liebevoll nannten, hatten ihn bisher vom neugierigen Blättern in Katalogen und Webseiten über die »Turbohütten« zurückgehalten.
Als die Wohnmobile aus dem Blick verschwanden, verflüchtigte sich auch der problematische Gedanke an die Anschaffung eines neuen Wohnmobils mit größerem Komfort.
Die Gedanken kamen und gingen, so wie die Szenen am Kanal wechselten. Malbek empfand das als sehr angenehm. Er brauchte die unbequemen Gedanken nicht mühsam beiseitezuschieben. Sie wanderten vor seinen Augen vorbei, langsam genug, um ihnen angemessen die Reverenz zu erweisen, sich vielleicht sogar zu verbeugen, das Für und Wider zu erwägen. Und bevor der quälende Prozess der Entscheidungsfindung nahen konnte, glitt das Gedankenbild schon nach hinten weg, entgegen der Fahrtrichtung. Eine perfekte Verdrängungsmaschine.
Aber wenn man mit glasigen Augen in die Landschaft starrte und lebensphilosophisches Zeug faselte, konnte man keinen Mordfall lösen! Malbek war überzeugt, dass an diesem Schiff eine Spur haftete, die zum Täter führte. Irgendetwas, was man in keinem Reagenzglas sichtbar machen oder als DNA analysieren könnte. Lüthje Lupenkieker würde grinsen und »Spökenkiekerei« murmeln.
Neue Bilder. Eine Herde fetter Suffolk-Schafe weidete auf sattgrünen Feldern. Drei Männer standen um einen Bock und diskutierten. Kaufverhandlungen. Die Schafe waren Einwanderer wie die Wollhandkrabben. Aber die Suffolk-Schafe hatte der Mensch geholt und zu einem Wirtschaftsfaktor gemacht. Die Wollhandkrabben hatten sich eingeschlichen. Sie sahen scheußlich aus, waren Allesfresser und schmeckten sicherlich auch so. Das Fleisch der Suffolk-Schafe war ein Leckerbissen. Jettes Kochkünste hatten daraus schon mehrfach göttliche Genüsse geschaffen.
Die behäbigen dicken Wollknäuel erinnerten Malbek merkwürdigerweise an seinen Chef, Kriminalrat Schackhaven. Aber noch ehe er sich in diese Gedanken vertiefen konnte, waren die Weide und ihre Schafe verschwunden und hatten einem landwirtschaftlichen Produktionsbetrieb mit zwei Flachdachhallen und aufwendigen Filteranlagen auf dem Dach Platz gemacht. Danach tauchte in der Ferne ein Dorf mit Kirchturm auf, der Malbek unwiderstehlich zum Fernglas in seiner Schultertasche greifen ließ. Auf der dem Kanal zugewandten Seite der Kirche dehnte sich ein Friedhof aus. Danke, lieber Nord-Ostsee-Kanal. Vor dem Schiff wölbte sich die Rader Autobahnbrücke über dem Kanal wie ein monumentales Portal in eine andere Welt.
»Das ist sie, unsere größte Weiche«, unterbrach der Lotse Malbeks Gedankengänge und wies stolz in Fahrtrichtung. Der Kanal hatte sich auf Höhe des Rendsburger Eiderhafens auf mindestens die doppelte Breite geöffnet. Querab westlich sah Malbek die Mündung der Schirnau.
Malbek betrachtete im Fernglas den Leichenfundort, der zugleich der Tatort war. An der
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