Totenschleuse
linken Arm aus der Fahrertür und drückte eine Taste.
Es knackte aus der Gegensprechanlage.
»Kommissar Lüthje und Kommissar Malbek von der Kripo«, sagte Malbek.
»Einen Moment!« Es war Molsen. Er schien etwas außer Atem zu sein.
Das Tor fuhr summend zur Seite.
Molsen wartete in der geöffneten Haustür und sah zu den zwei Männern, die aus einem Wohnmobil stiegen.
»Kommissar Lüthje, Kripo Flensburg.« Lüthje hielt Molsen seine Dienstmarke entgegen. »Herrn Kommissar Malbek aus Kiel kennen Sie ja bereits. Wir wissen, dass es sehr spät ist. Aber Sie sind ja noch wach. Ist Frau Bönig bei Ihnen?«
»Sie ist oben. Die erste Tür links.« Molsen trat zur Seite und bat die beiden Männer mit einer Geste in den Flur. »Ich habe ihr angeboten, hierzubleiben, bis sie etwas Neues gefunden hat. Sie kann dort nicht mehr wohnen. Ich glaube, das ist verständlich.«
»Wir haben Herrn Bönig in seinem Haus tot aufgefunden. Waren Sie vorhin mit ihr in dem Haus?«
»Nein, ich habe draußen im Wagen gewartet. Frau Bönig hat nur die wichtigsten Dinge, Papiere und so weiter, eingepackt.«
»Die Haustür war weit geöffnet. Hatten Sie keine Angst, dass der Täter noch im Hause war?«, fragte Lüthje.
»Das fiel mir erst ein, als sie schon wieder im Wagen saß. In solchen Situationen reagiert man nicht überlegt. Außerdem war die Haustür schon auf, als sie ihn gefunden hat, hat sie mir gesagt. Ich dachte, der Täter wäre rausgelaufen und hätte sie offen gelassen.«
»Ah ja. Ich werde nach oben gehen und mich mit Frau Bönig unterhalten. Herr Malbek wird Ihnen hier unten ein paar Fragen stellen. Wenn Sie Einwände haben, müssen wir unsere Unterhaltung in unsere Diensträume verlegen.«
»Nein, ich bin einverstanden.« Molsen wandte sich irritiert zu Malbek. »Entschuldigung, aber haben Sie geahnt, dass heute auf Sylt ein Mord geschehen würde?«
»Göttliche Fügung oder Zufall, ganz wie Sie wollen. Können wir jetzt beginnen?«
Manuela Bönig erhob sich nicht, als Lüthje eintrat. Sie saß aufrecht mit durchgestrecktem Rücken und gefalteten Händen auf einem Sessel am Fenster und trug die Lüthje aus jahrzehntelanger Berufserfahrung bekannte Mimik der »trauernden Witwe noch im Schock«, die aber trotzdem wusste, worauf es ankam. Ihre Augen waren klar und fixierten ihn prüfend.
Auf einer Bank am Fenster standen zwei Reisetaschen.
»Ich hatte noch keine Gelegenheit, auszupacken.« Sie hatte Lüthjes Blick bemerkt. »Herr Molsen hat mir freundlicherweise angeboten, hier im Haus zu wohnen, bis ich etwas Neues gefunden habe. Ich habe deshalb vorhin nur das Nötigste eingepackt. Es war schrecklich dort. Die paar Minuten. Ich kann dort nicht mehr wohnen.«
Sie suchte fahrig in ihrer Tasche herum und streckte ihm ihren Personalausweis entgegen. Lüthje nahm ihn erstaunt an.
»Ich war heute in Hamburg …«, sagte sie zögernd, als hätte das etwas mit ihrem Ausweis zu tun. »… und habe mit einer Großhändlerin gesprochen. Für das kommende Frühjahr. Wir haben zusammen eine Kleinigkeit zu Abend gegessen. Ich bin gegen zweiundzwanzig Uhr dreißig wieder zu Hause gewesen. Als ich in den Flur kam, sah ich, dass die Kellertür geöffnet war.«
»Was importieren Sie?« Er gab ihr den Personalausweis zurück. Sie war Ende dreißig. Nach dem Ausstellungsdatum des Ausweises musste das Passfoto fünf Jahre alt sein. Sie schien inzwischen um das Dreifache gealtert zu sein. Für Lüthjes Geschmack war sie zu mager, etwas knochig, was noch durch die pechschwarze Bubikopffrisur unterstrichen wurde. Der konzentrierte Blick aus den stark geschminkten Augen stand in merkwürdigem Gegensatz zu dem leichten Zittern, das durch ihren Körper lief. Beides zusammen passte mehr zu gebändigter Wut als zum Zustand des Schocks.
»Sie haben mich missverstanden.« Sie legte den Kopf etwas zur Seite und fixierte einen imaginären Punkt vor ihr, der dicht über dem Teppich liegen musste. »Mir gehört die Boutique ›Manuelas Schatulle‹. Dieser Anbau an die Garage. Haben Sie in der Dunkelheit wahrscheinlich nicht gesehen. Ich führe Wohn- und Modeaccessoires. Auch kleine Antiquitäten wie Uhren, Schmuck, Miniaturmalereien. Alles ausgesuchte, kostbare Unikate.«
»Wir haben Ihren Mann am Fuß der Kellertreppe gefunden. Der von uns gerufene Notarzt hat seinen Tod festgestellt. Warum haben Sie keinen Arzt gerufen?«
Sie sah Lüthje entgeistert an. »Glauben Sie denn, dass er mit dem verdrehten Kopf noch hätte leben
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