Totenschleuse
als Warteschleifenmusik in sein Ohr. Malbek rechnete nach. Das lief Anfang der siebziger Jahre im Fernsehen. Er kämpfte sich damals durch die Schulzeit und identifizierte sich manchmal mit dem Kapitän und Reeder James Onedin, der Ende des 19. Jahrhunderts allen Stürmen des Lebens trotzte. Axel Molsen hatte damals wohl als hoffnungsvoller Thronfolger seine ersten Berufserfahrungen im Familienunternehmen gemacht und musste in der Romantik dieses Serienschinkens fast ertrunken sein. Der Soundtrack eines Lebens. Nicht unsympathisch.
Malbek fragte sich, was Molsen als Warteschleifenmusik gewählt hätte, wenn er gewusst hätte, dass das Thema der Ballettmusik eines armenisch-kaukasischen Komponisten »entliehen« war?
Mittlerweile musste die »Onedin-Linie« nach kurzer Wetterberuhigung angesichts eines aufziehenden Sturms die Segel reffen. Das Orchester nahm einen neuen Anlauf.
Wahrscheinlich ließ sich Geerdsen jetzt von der Telefonistin erzählen, was der Kommissar denn wollte und was sie denn geantwortet hätte, und ermahnte sie, dass sie besser den Mund gehalten hätte, da sie doch die dienstliche Anweisung kenne, derartige Anfragen sofort an ihn weiterzugeben. Und vielleicht kontaktierte Geerdsen noch schnell seinen Chef. Die Sache schien irgendwie heiß zu sein.
Malbek überlegte, ob er nicht auflegen und zur Reederei fahren sollte. Aber die Zeit war ihm zu schade. Er hatte das Gefühl, dass er etwas übersehen hatte, nicht nur Madamchen.
Geerdsen meldete sich endlich.
»Es tut mir leid, Herr Malbek, wir sind gehalten, am Telefon keine Auskünfte über Personalangelegenheiten zu erteilen. Ich weiß ja gar nicht, ob Sie wirklich Kommissar Malbek sind, vielleicht ist es jemand von der Gewerkschaft, der mich hereinlegen will«, sagte er knarrend.
»Verbinden Sie mich mit Herrn Molsen«, sagte Malbek.
»Äh, einen Moment.«
Wieder ertönte die »Onedin-Linie«. Das Schiff schien inzwischen einen Mast verloren zu haben. Geigen wimmerten, Becken schepperten, Trommeln wirbelten. Mrs Onedin war sicher überraschend auf Deck erschienen und klammerte sich an ihren Mann, der entschlossen Befehle in die Segel schrie.
Die Musik brach ab.
»Ich konnte Herrn Molsen leider nicht erreichen«, sagte Geerdsen. »Aber ich habe nachgesehen. Wir haben Frau Lantau vor zwei Tagen aus betriebsbedingten Gründen kündigen müssen. Wir müssen Einsparungen in allen Bereichen machen.«
»Frau Lantaus Adresse?«
»Wenn Sie von der Gewerkschaft sind, dann müssten Sie –«
»Mann, hören Sie auf, Sie wissen doch ganz genau, dass ich es bin! Ich kriege Sie wegen Behinderung der Ermittlungen dran, Sie Kasper, und alles, was mir noch einfällt und was ich noch im Laufe der Ermittlungen in Ihrem Laden an Dreck finde … Sie haben mich bisher nur als Menschenfreund erlebt, aber …«
»Langer Rehm 32. In Kiel.«
Dörte wohnte Langer Rehm 30.
»Wo arbeitet Frau Lantau jetzt?
»Das weiß ich nicht. Wir haben ihr ordnungsgemäß eine Arbeitsbescheinigung für die Arbeitsagentur ausgestellt. Sie muss sich ja sofort arbeitslos melden, sonst verliert sie ihre Ansprüche auf Arbeitslosengeld.«
»Ihre fürsorgliche Art rührt mich, Herr Geerdsen. Kannten Sie Frank Bönig?«
»Kannten? Wieso?«
»Er wurde gestern ermordet. Auf Sylt. Er hat mit Ihrem Chef Geschäfte gemacht. Schönen Gruß an Herrn Molsen.« Malbek beendete das Gespräch.
Er rief Harder an und gab ihm die Anweisung, herauszufinden, welchen Arbeitgeber eine Petra Lantau habe, zuletzt wohnhaft im Langen Rehm 32 in Kiel. Falls sie schwarzarbeite, könnte es natürlich länger dauern. Anderenfalls würde es vielleicht Minuten dauern, denn im Umgang mit Behörden machte Harder seinem Namen alle Ehre.
Er rief nach zwölf Minuten zurück. Petra Lantau war wohnhaft gemeldet im Langen Rehm 32. Sie arbeitete in einem Restaurant am Adolfplatz.
Malbek kannte die Lokalität. Sie lag zwischen Uni-Viertel und den Straßen am Düsternbrooker Gehölz und nannte sich »Kneipe-Restaurant Weber«. Dort hatte er oft mit seiner damaligen Freundin abends Pizza gegessen, als er zur Ausbildung in Altenholzstift war. Weber war der Name des damaligen Pächters, der jeden Sonntag selbst in der Küche stand und regionale Spezialitäten nach Saison zubereitete. Malbek konnte sich an Kieler Fördepfanne, Probsteier Hasenkeule und Falschen Hasen nach Laboer Art erinnern. Das war in einem anderen Leben.
Der Name und das sogenannte Ambiente hatten sich nicht geändert: in dunkel gealtertem
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