Totenschleuse
gleichzeitig dort waren, von Ihnen, Herr Malbek, und Herrn Lüthje und weiteren Zeugen bestätigt. Mit einer Ausnahme. Robert Lüllmann ist vor Manuela Bönig von der Bühne gegangen. Aber das eröffnete leider kein von der Gerichtsmedizin attestiertes Zeitfenster, exklusiv für Robert Lüllmann, in der er den Mord an Bönig hätte begehen können. Der Mord hätte auch zwei Stunden vorher begangen werden können. Die Motivlage für alle drei genannten Personen ist genauso unklar. Außerdem … der Täter muss ein Bekannter des Opfers gewesen sein, es gab keine Einbruch- oder Kampfspuren. Der Täter brauchte für die Tat nur kurze Zeit im Haus zu sein. Und zur Galerie ›Kompass‹ sind es höchstens zwanzig Minuten. Er brauchte also nur vierzig Minuten Abwesenheit, die in dem Trubel auf der Ausstellungseröffnung von niemandem bemerkt wurden. Der Täter könnte also theoretisch jeder von den Gästen gewesen sein. Ich nehme an, dass man sich dort kannte, auf diesem gesellschaftlichen Ereignis. Die meisten werden die Bönigs gekannt haben. Die Befragungen durch die Westerländer Kollegen haben das bisher bestätigt.«
»Völlig richtig, Vehrs, so habe ich es dort auch wahrgenommen«, sagte Malbek.
Vehrs schob die Stühle beiseite und klappte einen Ordner auf, der vor ihm lag. »Bönig und Lüllmann. Die beiden haben einige Gemeinsamkeiten. Sie sind Klassenkameraden und bezeichnen sich als Fondsmanager mit entsprechender Homepage. Beide haben eine Ausbildung als Bankkaufmann absolviert, beide zwölf Jahre bei der Hypoplan in München gearbeitet, beide haben dort Hypothekenbundles beziehungsweise Hypothekenpakete an Banken und Sparkassen im ganzen Bundesgebiet verkauft. En gros sozusagen. Und kurz vor dem Zusammenbruch der Finanzmärkte sind sie dort gleichzeitig ausgestiegen.«
»Sie sind nicht zufällig Zwillinge?«, fragte Hoyer.
»Nein, Bönig ist am 10. Dezember und Lüllmann am 23. November geboren«, sagte Vehrs schmunzelnd.
»Immerhin. Schütze und Skorpion«, sagte Hoyer.
»Und was sagt uns das?«, fragte Malbek.
»Der Meister und sein Schüler. Dabei völlig ungleiche Charaktere.«
»Wer ist der Meister?«, fragte Malbek.
»Der Schütze. Also Bönig«, sagte Hoyer.
»Der Meister ist tot«, sagte Malbek nachdenklich. Und zu Vehrs gewandt: »Wie haben Sie das alles in so kurzer Zeit ermittelt?«
»Preben vom K3 war so freundlich«, sagte er und zu Hoyer gewandt: »Das ist die Wirtschaftskriminalität.«
»Danke. Weiß ich. Steht ja unten im Eingang auf diesem großen Schild mit den großen Buchstaben«, sagte sie lächelnd.
»Darf ich weitermachen?«, fragte Vehrs. »Jeder der beiden hat eine eigene Homepage, mit Vita, Profil und Referenzen, Projekthistorie und dem üblichen Pipapo. Zum Beispiel hat Bönig eine Celluloidpuppenfabrik mit Tradition saniert, Lüllmann eine Brauerei an einen holländischen Konzern verkauft. Aber das ist schon fast zehn Jahre her. Unter Referenzen ist aktuell bei beiden auch die Molsen-Reederei genannt. Man kann nachlesen, dass die ›Christian Molsen‹ als Fondsschiff gebaut wurde, also mit dem Geld von Anlegern, die auf einen satten Gewinn hofften, den das Schiff erst mal einfahren soll. Die Investoren wurden sämtlich von Bönig und Lüllmann angeworben. Das Ganze läuft über ein Fondshaus in Hamburg, das ist so was wie ein Finanzmakler für Immobilien und hier auch für Schiffsfonds. Bönig und Lüllmann haben Molsen also frisches Geld beschafft, das er dringend benötigt. In der Branche hat man das, bisher ohne öffentlichen Kommentar, registriert. Die Website der Reederei ist übrigens mit denen von Bönig und Lüllmann verlinkt und umgekehrt. Das Fondshaus und die Reederei gegenseitig auch.«
Vehrs machte eine Pause, weil Malbek auf seinem Handy herumtippte.
»Nur eine wichtige SMS, ganz kurz«, sagte Malbek, ohne aufzusehen. Er antwortete Regina Molsen.
»Lassen Sie sich nicht stören, ich höre Ihnen zu«, sagte Malbek.
»Äh, ja.« Vehrs sah irritiert auf seine Unterlagen. »Das … das Fondshaus, so heißt das im Fachjargon, gilt grundsätzlich als seriös, meinte Preben. Wenn man davon absieht, dass vor fünf Jahren auf dem Fondsschiff einer anderen deutschen Reederei in Hongkong der Erste Offizier ermordet wurde und ein anderes im Mittelmeer mit Raketen an Bord aufgebracht und in einen israelischen Hafen geschleppt wurde. Kam aus St. Petersburg via Rotterdam.«
Vehrs hatte sich in Rage geredet. Seine Wangen waren rot wie bei einem kleinen Jungen
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