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Totenseelen

Totenseelen

Titel: Totenseelen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Birgit Lautenbach
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Da will sie doch nicht ernsthaft behaupten, dass davon nichts geblieben ist. Erst recht, nachdem die andere tot war. Wie hieß sie gleich?«
    Een und Erwin mussten nachhelfen. »Die Kleine von Timpe.« – »Clara.«
    Mall sog an seinem Stumpen, dass die Spitze kreisrund glühte. »Noch so’ne vermaledeite Geschichte. Hat sogar was mit eurem Roloff zu tun, sie war nämlich …«
    »Seine Verlobte«, versuchte Pieplow das Gespräch zu straffen. »So viel wissen wir schon. Auch dass sie kurz vor der Hochzeit gestorben ist.«
    »Dann ist ja gut.« Mall klang eingeschnappt. »Wenn ihr alles schon wisst …«
    »Den alten Timpe hat’s hart getroffen.« Een, der selbst Töchter hatte, machte ein mitleidiges Gesicht. »Da denkst du, du hast sie endlich unter der Haube – eine gute Partie war er ja, der Roloff -, und dann so was.«
    »Danach war nichts mehr mit ihm anzufangen. Grade mal, dass er noch seine Arbeit gemacht hat, aber sonst … Wisst ihr noch, wie er bei Gewitter immer raus ist auf den Bodden? War nicht davon abzubringen. Aber der liebe Gott hat ihm was gehustet. Nix war mit Blitzschlag und aus!« Erwin wackelte betrübt mit dem Kopf. »Er hat’s bis zum Ende durchstehen müssen.«
    »Stimmt«, bestätigte Een. »Über neunzig musst’ er werden, da gab’s kein Vertun.« Er packte seine Pfeife, so heiß, wie sie sein mochte, in die Jackentasche und gab damit das Zeichen zum Aufbruch. Kurz vor zwölf. Zu Hause wartete das Essen. »Wenn ihr noch Fragen habt … Ihr wisst ja, wo ihr mich findet. Jetzt muss ich aber.«
    Einer nach dem anderen schlurfte zur Tür, am Rauchverbotsschild vorbei, die Treppe hinunter.
    Weil die Fenster der Wache zur Mühle hinausgingen, konnte Pieplows Blick ihnen nicht folgen, aber vor seinem inneren Auge stand deutlich das Bild der drei Alten, wie sie an der Blauen Scheune vorbei nach Hause zockelten.

15
    Fast eine Stunde sind sie im Rathaus gewesen. Man hat sie gesehen, wie sie im Gänsemarsch um die Hausecke zogen. Mall vorneweg wie immer, und wozu sie den Schnaps brauchten, den er trug, weiß hier jeder. Sich den Tag passig saufen und die Geschichten, die sie sich zusammenspinnen.
    Ein Kreuz ist es mit Männern, die nichts zu tun haben, als anderen in die Suppe zu spucken. Ein wahres Kreuz. Nichts als Schaden richten sie an mit ihrem Geschwätz.
    Dabei haben sie keine Ahnung. Woher auch? Jung, wie sie waren. Weiberkram hat die drei ebenso wenig interessiert wie die erwachsenen Männer. Sollten die Frauensleute das unter sich ausmachen und Bescheid sagen, wenn zum Feiern die Buddeln auf dem Tisch standen.
    Bei Claras Verlobung gab’s keinen Schnaps. Für uns nicht und schon gar nicht für Een oder Mall oder einen der anderen.
    Verglichen mit den lauten, menschenvollen Stuben, die wir sonst bei solchen Festen gewohnt waren, saß damals eine kümmerliche Runde in Freeses Speisesaal mit den hohen Spiegeln und den schweren Samtportieren. »Im kleinen Kreis«, nannte Marga Timpe das und tat vornehm. Aber die Wahrheit ist, dass Dietrich Roloff niemanden hatte, den seine Verlobung interessierte. Darüber täuschte auch die Anzeige nicht hinweg, die für weiß wen im Stralsunder Tageblatt erschien.
    »Ein Mann in seiner Position hat wenig Freunde. So ist das nun mal. Bedauerlich, aber wahr«, wollte Marga uns weismachen und quittierte Mutters mitleidiges Staunen mit dem hochnäsigen Gesichtsausdruck, den sie sich zugelegt hatte wie das Verlobungskostüm.
    »Neueste Mode aus Berlin«, plapperte sie nach, womit die Verkäuferin sie geködert hatte. »Der gleiche Stil, wie unsere Frau Goebbels ihn trägt.«
    Es kränkte mich, wie sie Mutter mit ihrem aufgetakelten Getue klein machte. Aber viel schlimmer war, wie sie Clara verhökerte. Sie anpries wie eine Ware und die Aussteuer aufstockte, als gäbe sie Rabatt, damit das Geschäft zustande kam, bei dem Clara nur stillhalten sollte: »Man muss sie führen, die jungen Dinger. Die Zügel fest in der Hand halten. Sonst laufen sie aus der Spur, und man sitzt da mit den Scherereien. Wenn sie erstmal begriffen haben, was gut für sie ist, findet sich alles andere von allein.«
    Oft dämpfte sie ihre Stimme zu einem Geraune, das mir einen Strich durch die Rechnung machte, wenn ich in die Küche hinüberlauschte. Aber die Weisheit von den Mädchen, die man wie Pferde im Zaum halten muss, verkündete sie so laut, dass ich es nicht überhören konnte.
    Obwohl sie ihre Pfeile ins Blaue schoss, fühlte ich mich ertappt, weil ich wusste, was sie nur

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