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Totenstadt

Totenstadt

Titel: Totenstadt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Brian Hodge
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erneut auf, genauso schmerzverzerrt wie zuvor, als seine Finger an der Alabasterwange über ihm entlangglitten und sein Mittelfinger an einer blutleeren Lippe vorbei in den Mund rutschte. Dieser Biss, so fest.
    Das war ein Fehler, ein schwerer Fehler, ein grimmiges neues Licht schimmerte in diesen wilden Augen, und er biss noch härter zu. Viel härter. Morenos Finger bereiteten ihm Höllenqualen, wie er sie vielleicht in Daumenschrauben verspürt hätte, und sein Blut quoll aus dem Mundwinkel des Kerls.
    Der Albino warf seinen Kopf hin und her, wie ein Wolf, der seine Beute zwischen den Fängen hielt, die Sehnen an seinem Hals spannten sich, während er das Heft des Messers in einer Hand hielt – wenn er es nicht benutzen konnte, dann konnte Moreno es auch nicht. Seine Zähne mahlten und mahlten … und als sie sich trafen, riss er den Kopf so wild zurück, dass Moreno endgültig übel wurde …
    Das obere Drittel seines Fingers war am Gelenk abgebissen worden.
    Das Gewicht verschwand plötzlich von Morenos Brust, als sich der Mann herunterrollte und den abgetrennten Finger wie einen Zigarettenstummel im Mundwinkel hielt. Moreno wollte ihm folgen, war aber viel zu schwach und hatte völlig das Gleichgewicht verloren. Die nächste Erniedrigung folgte sofort, allerdings weniger schwer, aber es hatte trotz allem etwas Schändliches an sich, als ihm eine Handvoll seines Resthaares mitsamt der Wurzel ausgerissen wurde.
    Moreno kam taumelnd auf die Beine, während die weiße Gestalt zwischen den Bäumen in den Schatten verschwand. Dieser Hurensohn, warum war er nicht dageblieben, um die Sache zu beenden, er war doch im Vorteil gewesen …
    Und dann ließ sich Moreno zurück auf die Knie fallen, als ihm klar wurde, dass er in Sicherheit war, denn er sah, was den Albino vertrieben hatte.
    Christophe kam aus dem Tempel gerannt, er war nackt und sein langer, schlanker Körper glänzte feucht im Mondlicht. In beiden Händen hielt er das Zeremonienschwert Ogus, und wahrscheinlich hatte der Loa angesichts der Situation nichts dagegen, dass er es sich ausgeliehen hatte.
    Hinter Christophe konnte er sehen, was aus dem zweiten Mann geworden war, den er angeschossen, aber nicht getötet hatte. Er lag in der Nähe der Tempeltür auf dem Boden, ganz still, dann hatte sich wohl doch jemand seiner angenommen.
    Moreno fragte sich nur, wo sein Kopf hingerollt war.
    Seine Knie drohten nachzugeben, nein, er würde nicht erneut zu Boden gehen. Dann war Christophe da, das Schwert fiel zu Boden, und er legte seine Arme um Moreno, um ihm aufzuhelfen.
    »Ich habe Sie«, sagte er in Morenos Ohr, »ganz ruhig, ich habe Sie.«
    Dann berührte er das Heft des Messers mit einem Finger. »Soll ich es rausziehen?«
    Moreno schüttelte den Kopf. »Drinnen. Dann können Sie es verbinden. Wenn das Messer raus ist, werde ich noch viel mehr bluten.« Er sah sich um, da waren nur noch sie beide und zwei Leichen.
    »Mama Charity?«, rief er. Er fürchtete das Schlimmste; die Wände des Tempels bestanden aus dünnem Holz, da konnte man genauso gut hinter einer Zeitung in Deckung gehen.
    »Es geht ihr gut. Sie betet jetzt.«
    Moreno nickte und sah sich dann noch einmal um. Justin war nirgends zu sehen, weder in vertikaler noch in horizontaler Position. Darüber würde er sich später Gedanken machen; und sie begannen den langen, blutigen Weg zurück zum Haus.
     
    Er musste um die entfernte Seite des Hauses herumgehen, während noch immer Schüsse durch die Nacht hallten, dann ging er durch die Vordertür und hielt die Waffe sicher mit beiden Händen fest.
    Und er fand sie auf dem Boden des Wohnzimmers.
    Alles war ihm in diesem Moment egal, die Kämpfe, sogar die Panik, all dies machte etwas weitaus Schlimmerem Platz – einer Panik, die zu groß war, um sie überhaupt zu begreifen.
    Justin stürzte neben ihr zu Boden, ließ die Waffe fallen, die in diesem Moment schon vergessen war; wäre in diesem Augenblick jemand hereingekommen, der ihm schaden wollte, dann hätte er es zugelassen, vielleicht sogar begrüßt. Genau hier, hätte er gesagt und auf sein Herz oder seine Stirn gezeigt, erschießen Sie mich genau hier.
    Aber solch ein Abgang wäre Betrug gewesen, denn das Schicksal hatte grausamere Pläne mit ihm: Hier, sieh sie, halte sie fest, versuche sie zu wecken, ohne dass sie reagiert; spüre den grausamen Trennungsschmerz und erlebe, wie unerträglich das Leben sein kann.
    Und was war das Schlimmste daran? Nicht zu wissen, ob April tot oder lebendig war;

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