Totenstadt
selbst wenn er kündigt, ist das an sich auch nicht so schlimm. Aber …
Okay, ich muss ein wenig weiter ausholen. Als wir uns zum ersten Mal trafen, direkt nachdem er hierhergezogen war, haben wir darüber gesprochen, Partner zu werden. Unsere eigene kleine Agentur, er würde die Texte schreiben, und ich wäre für die Bilder verantwortlich, wir hätten beide unseren Anteil am Konzept. Aber das war nur Gerede, so dahingesagt über Austern und Bier. Und nun hat er es wieder ausgegraben, er hat es sogar schon ein paarmal erwähnt.«
»Wie fühlen Sie sich bei dem Gedanken, mit ihm zusammenzuarbeiten?«
»Ich … ich weiß nicht, wie ich ihn davon abbringen kann. Und es hat eigentlich nicht mal was mit ihm zu tun. Es ist ja nicht so, als ob wir unsere Ressourcen zusammenschmeißen und von vorne beginnen würden. Ich habe bereits eine Firma. Ich habe sie ganz allein aufgebaut. Vor einigen Jahren habe ich einige schreckliche Fehler gemacht, als ich noch in den Startlöchern stand, und einige Auswirkungen davon spüre ich noch heute, aber ich habe überlebt und meine Firma ebenfalls. Sie gehört mir, und im Moment möchte ich keinen Teil davon aufgeben. Muss ich denn alles teilen, nur weil ich verheiratet bin?«
»Sie teilen so viel, wie Sie zu teilen bereit sind«, meinte Dr. Gurvitz. »Haben Sie versucht, ihm das zu sagen?«
April ließ beide Hände mit gespreizten Fingern vom Hinterkopf bis zur Stirn durch ihr Haar gleiten, wodurch dieses noch zerzauster und wilder aussah. »Ich schätze, ich versuche mich einfach davor zu drücken, solange es geht.« April hob einen Finger, um Dr. Gurvitz’ Antwort zu unterbinden. »Ich weiß, ich weiß, wir haben darüber geredet, dass ich Männern nicht genug traue, um ihnen die schlechten Neuigkeiten mitzuteilen, etwas, das ihnen an mir nicht gefallen könnte. Aber ich hoffe nicht einfach nur, dass das vorübergeht, Carole, ich versuche es wirklich.«
»Aber?«
Aber was, aber was? Sie hatte in der Tat inzwischen ein größeres Vertrauen. Sie konnte Justin jetzt alle Indiskretionen der Vergangenheit anvertrauen, ohne Angst vor deren Auswirkungen zu haben. Aber dies war keine Sache aus der Vergangenheit, nicht wahr? Nein, dies war die Gegenwart, die Zukunft, und das waren gänzlich andere Scheusale.
»Es ist anders mit Justin, sein Leben, wie er es mit meinem verbindet. Ich …« Oh, und dies gehörte zu den Dingen, denen man am liebsten gar nicht ins Auge sehen wollte. Immer noch. Und so würde es wahrscheinlich auch immer sein. »Letztes Jahr habe ich ihm wehgetan, wie ich noch nie jemandem wehgetan habe, wie ihm noch niemand je wehgetan hatte. Ich habe ihn in eine Situation gebracht, in der er fast getötet wurde, und ich wusste, was ich tat … und er hat mir vergeben. Ich habe mir selbst ebenfalls vergeben, aber nun fühle ich … ich fühle …« Sie saß fest.
»Sie fühlen sich für ihn verantwortlich?«
»Vielleicht ist es das. Nein, das ist es nicht – ich fühle mich ihm verpflichtet. Was ist ein kleiner Karriereschub schon gegen das, was wir einander angetan haben? Einige dieser alltäglichen Dinge erscheinen im Vergleich dazu so trivial.«
»Aber sind sie trivial, April?«, wollte Dr. Gurvitz wissen. »Ich kann verstehen, dass sie so erscheinen mögen, verglichen mit den Situationen, die sie zwei Wochen lang durchstehen mussten und in denen es um Leben und Tod ging. Aber niemand kann so viele Emotionen und eine so hohe Intensität über einen längeren Zeitraum aufrechterhalten, ohne unter dem Druck zu zerbrechen. Das ist beiden von Ihnen am Ende ja ganz offenbar passiert.«
»Ich weiß. Aber manchmal denke ich, Justin würde lieber wieder in diese Zeit zurückkehren.«
Nicht dass sie diesen bizarren Reiz nicht verstehen würde. Es war auf jeden Fall eine lehrreiche Erfahrung von monumentalem Ausmaß gewesen. Jede Neurose, Unsicherheit und emotionale Zeitbombe war mit Geschrei an die Oberfläche gekommen, wo man sich mit ihr beschäftigen musste. Die Philosophie von Nietzsche hatte sich als wahr erwiesen: Was mich nicht umbringt, macht mich nur stärker.
Carole Gurvitz hatte ihr geholfen, all das zu ordnen. Sie hatte ihr geholfen, zu verstehen, dass ihre Antwort auf den Stress typisch gewesen und einem glockenförmigen Muster gefolgt war: Je schwieriger die Situation gewesen war, desto härter und aggressiver wurde sie … bis der emotionale Faktor in die Gleichung kam. An diesem Punkt sank die Effektivität rapide.
Sie hatte ihr geholfen, die Bedeutung
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