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Totenstadt

Totenstadt

Titel: Totenstadt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Brian Hodge
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einem wilden Kratzen. Dann ein lautes Schlucken. »Und auch nicht morgen früh, verdammt noch mal! Ich muss dich heute noch sehen, jetzt gleich, verstehst du mich? Verstehst du mich?«
    Es stand außer Frage, dass er kommen würde. In der schlimmsten Krise der Agentur, wenn es um Geld und verlorene Kunden ging, hatte sich Leonard Greenwalds Stimme nie so angespannt angehört.
    »Wo bist du?«
    »Hyde Park Village. Telefonzelle. Ich … ich … ich laufe hier jetzt seit etwa zwanzig Minuten herum und denke nach, denke einfach nur nach …«
    »Bist du in der Nähe von J.B. Winberie’s?«
    »Ja. Das bin ich. Ja.«
    »Dann such dir einen Tisch am Gang, und ich bin schon unterwegs. Okay?«
    »Ja, ja, ja. Du wirst dich doch beeilen, nicht wahr? Ich werde bald explodieren, Justin, also sieh zu, dass du herkommst.«
    Er stellte fest, dass er energisch nickte. Leonards Not war wie ein gieriges schwarzes Loch durch das Telefon gekrochen und hatte ein weiteres Leben in Gott weiß welchen Schlamassel mit hineingezogen. Es war, als wolle er versuchen, einem Selbstmörder, der auf dem Dach stand, seine Tat auszureden, nur um zu erkennen, dass er eigentlich vorhatte, ihn selbst mit hinunterzureißen.
    Er kannte das Gefühl. Er war schon einmal gefallen.
    Er wusste, dass er, wie sehr er sich auch anstrengte, nur einer dieser Kerle war, die immer wieder hochkamen.
     
    Andrew Jackson Mullaveys Arbeitswelt thronte sechzehn Stockwerke weit oben; New Orleans lag dort unten, und auf den Straßen schimmerte das Erbe des prahlerischen Exzesses. Wo noch vor Kurzem alles einen Preis hatte – von Blut und Ehre bis hin zu Freiheit und Leben – und dies ein Preis war, den irgendjemand irgendwo zu zahlen bereit war.
    Wie wenig sich die Dinge in einzigen Bezirken geändert hatten. Wie wenig sich die Dinge änderten, wenn man der Änderung widerstand. Die Schattenseite ihrer Existenz war so lebendig wie der ewige Fortgang des Lebens und die Durchtriebenheit der Tiere. Es gab keine noch so zivile Gesellschaft, in der diese bedeutenden Mitglieder keinen Ehrenplatz einnahmen und nicht mehr gebraucht wurden.
    Mittwochabend, und Andrew Jackson Mullavey ließ den Kopf auf die Tischplatte fallen und hörte auf zu atmen. Er konnte noch immer Ty Larkins Schritte hören, der in die Halle zurückging, und wenn Mullavey nur mutig genug gewesen wäre, dann hätte er bereits in seine Schreibtischschublade gegriffen, die Pistole herausgeholt und den jungen Mann persönlich in den Rücken geschossen.
    Vorbeugende Maßnahmen konnten zuweilen drastische Formen annehmen.
    Es war ein Muss, lange zu arbeiten, so lange, dass der Großteil der anderen Angestellten bereits nach Hause gegangen war. Es war in diesen späten Stunden sehr viel ruhiger, was der Arbeit durchaus zuträglich war. Zehn- oder Zwölfstundentage waren nicht ungewöhnlich, und noch fünf Minuten zuvor war alles in der Welt an seinem angestammten Platz gewesen.
    Dann trat Ty Larkin, Vizepräsident der Werbeabteilung, mit absolut unerfreulichen und verheerenden Neuigkeiten ein. Larkin musste nicht einmal den Mund aufmachen; alles in seinem hübschen, sanften, jungen Gesicht deutete bereits auf Ärger hin. Mullavey hatte sich gestählt und auf das Schlimmste vorbereitet; er wollte alles hören. Er richtete sich darauf ein, alles in seiner Macht Stehende zu tun, das erforderlich war, um den Schaden zu beheben.
    »Wir haben ein Problem.« Larkins Stimme klang wie das Vibrato eines Tenors.
    »Das sehe ich. Raus damit, Ty.«
    Eine zitternde Lippe, ein wahrer Rückschritt in die Kindheit. Baute ein Untergebener in der Hierarchie eines Unternehmens Mist, so glich er stets einem Kind, das zu einem furchterregenden Schuldirektor gerufen wurde.
    »Es ist meine Schuld.«
    Und anhand der Größenordnung wusste Mullavey, dass es sich nur um eines drehen konnte. Caribe-Kaffeepads, Zyanid, Industriesabotage. Aber jetzt? Wo sein Sündenbock tot und begraben und der Fall abgeschlossen war? Das konnte nicht sein …
    »Vor etwa einer halben Stunde … erhielt ich einen Anruf auf meiner Durchwahlnummer … aus Tampa. Von Leonard Greenwald.« Larkin schwitzte, sein Gesicht glänzte, und unter jeder Armbeuge war ein feuchter Halbmond zu sehen. Mullavey konnte über den Schreibtisch hinweg den Alkoholgeruch riechen, der mit dem verzweifelten Atem herüberwehte. »Er hatte … eine Unregelmäßigkeit gefunden. Er fragte sich, was es war. Ich habe versucht, ihm zu sagen, dass es nichts war … aber ich glaube, er hat mir

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