Totenstätte
Lächeln auf. »Und? Hast du heute schon etwas vor?«
Er schüttelte den Kopf. »Karen ist mit ihrer Mutter unterwegs.«
»Morgen muss ich arbeiten, also dachte ich, wir könnten heute vielleicht einen Spaziergang machen, wo die Sonne so schön scheint. Oder rüber in den Nationalpark fahren, nach Brecon Beacons.«
Ross schenkte ihr Kaffee ein. »Solltest du dich nicht besser ausruhen?«
»Es war eine lange Woche«, sagte Jenny. »Das ist alles. Die Mutter des verschwundenen Jungen ist am Donnerstag gestorben …«
»Das habe ich in der Zeitung gelesen.«
»Ach ja?«
»Große Sache, das. Der Fall war überall in den Nachrichten.«
»Ich versuche, mir das nicht anzuhören. Die verdrehen sowieso immer die Tatsachen.« Es sollte so klingen, als würde es sie nicht weiter stören, aber es gelang ihr nicht.
»Bist du sicher, dass du das schaffst?«, fragte Ross schonungslos, wie nur Teenager es vermochten. »Du wirkst ziemlich gestresst … Fällst in Klamotten ins Bett …«
»Ich bin beim Lesen eingeschlafen. Passiert dir das nie?«
»Warum bist du nur immer so empfindlich, Herrgott?«
»Tut mir leid, dass ich nicht Julie Andrews bin.«
»Aber warum musst du immer überreagieren?«
»Können wir nicht einfach frühstücken, ohne uns zu streiten?« Sie schnappte sich einen Toast und wollte mit ihrem Messer in die Butter stechen. Es rutschte ihr aus den Fingern. Sie versuchte es noch einmal und schaffte es wieder nicht. Sie gab auf und legte die Hände in den Schoß. Tränen brannten in ihren Augen.
»Was ist bloß los mit dir?«, fragte Ross.
»Nichts.« Sie schniefte. Verdammt. Warum musste sie ausgerechnet jetzt zusammenbrechen.
Seine Gereiztheit schlug in Sorge um.
»Wofür sind all diese Tabletten?«
»Nur damit ich über die Runden komme … Es hat eine Weile gedauert, bis ich über die Scheidung hinweg war.«
»Aber du warst doch schon vor der Scheidung krank.«
»War ich nicht …«
»Und warum bist du dann zum Psychiater gegangen?«
»Wer sagt das?«, fragte sie, als hätte man ihm Lügen aufgetischt.
»Ich habe gehört, wie ihr darüber gestritten habt, du und Dad.«
Jenny musste all ihre Kraft zusammennehmen, um nicht einen Nervenzusammenbruch zu erleiden. »Es geht mir jetzt besser. Alles ist anders. Ich habe ein neues Leben. Es hat einfach eine Weile gedauert, bis ich mich daran gewöhnt habe.«
Er glaubte ihr kein Wort. »Warum kannst du mir nicht einfach die Wahrheit erzählen? Steve glaubt auch nicht, dass es dir besser geht.«
»Was hat er gesagt?«
»Nichts. Aber ich merke das daran, wie er über dich redet.«
»Ross, bitte, du musst mir glauben. Ich war eine Zeitlang ziemlich unglücklich, das stimmt. Aber ich war mit deinem Vater zusammen, seit ich zwanzig war, kaum älter als du jetzt. Allein zu sein ist etwas, an das man sich erst gewöhnen muss.« Sie zwang sich zu atmen und schaffte es irgendwie, die Tränen zurückzuhalten. »Jetzt wird alles besser. Ich habe einen tollen Job.« Sie streckte den Arm über den Tisch und nahm seine Hand. »Du weißt nicht, wie viel mir das bedeutet.«
»Der Beruf macht dich also nicht fertig«, stellte er sarkastisch fest.
»Nein. Ehrlich nicht.« Sie beließ es dabei und merkte selbst, was sie ihm zumutete, zumal sie gleichzeitig den eigennützigen Wunsch verspürte, von ihm bestärkt zu werden.
»Ich habe das ernst gemeint, dass wir zusammen etwas unternehmen sollten. Was denkst du?«
»Wie du meinst«, sagte Ross und biss in seinen Toast.
Jenny wusste, was er hinter seinem gleichgültigen Machogehabe verbergen wollte. Sein Gesicht hatte sich im Wesentlichen seit seiner Kindheit nicht verändert. Er fühlte sich getröstet wie damals, als er mit aufgeschlagenen Knien zu ihr gerannt war, um in den Arm genommen zu werden.
»Musst du mich so anstarren?«, fragte er.
»Ich habe dich nicht …«
Im Wohnzimmer klingelte das Telefon.
»Ich geh dran«, sagte Ross, froh, sich der angespannten Atmosphäre entziehen zu können.
Er kam mit dem Hörer wieder. »Für dich. Andy Soundso.«
Andy? Sie hatte einen Aussetzer. »Hallo …?«
»Mrs. Cooper. Andy Kerr. Tut mir leid, dass ich Sie am Wochenende anrufe. Ihre Assistentin hat mir Ihre Nummer gegeben.«
»Geht es um die Jane Doe?«
»Ich bin mir nicht sicher … Heute Morgen bin ich in mein Büro gekommen, um ein paar Sachen abzuarbeiten. Hier lag immer noch das Dosimeter herum. Während ich darauf gewartet habe, dass mein Computer hochfährt, habe ich damit herumgespielt. Dabei ist
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