Totenstätte
ihre Tasche und holte den Umschlag mit der Vorladung und ein Empfangsformular heraus.
»Dies ist eine persönliche Zustellung. Der Umschlag enthält eine Vorladung für Colonel Maitland. Er soll morgen als Zeuge bei meiner Anhörung erscheinen. Taxigeld liegt auch bei, das ist gesetzlich vorgeschrieben. Sollte er partout nicht kommen können, soll er sich heute noch mit meinem Büro in Verbindung setzen, um den Termin zu verschieben. Wenn ich Sie jetzt bitten dürfte, die Empfangsbescheinigung zu unterschreiben.«
»Nun, ich …«
Jenny kam allen Ausflüchten zuvor. »Tun Sie es nicht, sind Sie Zeugin der Tatsache, dass ich das Schreiben um«, Jenny schaute auf ihre Uhr, »acht Uhr zweiundvierzig am Dienstag, den 9. Februar abgegeben habe. Sie werden dann ebenfalls vor Gericht erscheinen müssen, mit oder ohne Maitland.«
Sie hielt der Frau einen Stift hin, die ihn einen Moment lang anschaute, dann aber ergriff und schnell eine unleserliche Unterschrift auf die Empfangsbescheinigung kritzelte.
»Wenn Sie Ihren Namen bitte auch noch in Druckbuchstaben schreiben würden.«
Sie folgte der Anweisung und wurde rot, ob vor Ärger oder Verlegenheit konnte Jenny nicht sagen.
»Noch etwas. Ich müsste die aktuelle Adresse Ihres Mitarbeiters Mr. Christopher Tathum abgleichen.«
Das Mädchen schaute unsicher zum Computer hinüber.
»Sie werden mir jetzt erklären, dass Sie keine Privatadressen herausgeben dürfen, nicht wahr?«
»Ja«, stammelte die junge Frau.
»Ich habe das Recht, Sie dazu zu zwingen, aber lassen Sie es uns so machen: Ich sage sie Ihnen, und Sie sagen mir, wenn sie nicht stimmt.«
Jenny nannte Tathums Adresse. Das Mädchen zögerte einen Moment, dann tippte es auf der Computertastatur herum. Von der Seite sah Jenny, dass die junge Frau eine Liste mit Adressen hinabscrollte.
»Haben Sie mir etwas zu sagen?«, fragte Jenny.
Das Mädchen schüttelte den Kopf.
»Gut. Und Sie werden sicherstellen, dass Colonel Maitland den Brief heute Morgen noch bekommt, nicht wahr?«
Als Jenny nach Bristol zurückfuhr, hatte sie das Gefühl, dass eine Last von ihren Schultern genommen worden war. McAvoy hatte sie nicht angelogen. Tathum war bei Maitland angestellt, und falls es nötig sein sollte, hatte sie sogar eine Zeugin, die dies bestätigen würde. Vor Gericht waren noch etliche Hürden zu überwinden, aber zum ersten Mal seit Tagen hatte sie das Gefühl, festen Boden unter den Füßen zu haben. Sie vertraute McAvoy wieder und begann auch sich selbst wieder zu vertrauen.
Als sie vor dem Büro parkte, fühlte sie sich bereit, Alison entgegenzutreten und den Streit vom Vortag beizulegen. Seit ihrem Fauxpas hatten sie kaum miteinander gesprochen, nurein paar schnelle Worte gewechselt, als Jenny zu ihrer Notsitzung mit Dr. Allen geeilt war. Sie stellte sich auf einen frostigen Empfang ein und bereitete ein paar versöhnliche Sätze vor.
»Guten Morgen, Mrs. Cooper«, sagte Alison betont förmlich, als Jenny eintrat.
Der Empfangsbereich war ungewöhnlich ordentlich. Die Zeitschriften auf dem Tisch waren dekorativ arrangiert, in der Vase standen frische Blumen, die religiösen Sinnsprüche waren weggeräumt worden. Alles wirkte irgendwie … keimfrei.
»Guten Morgen, Alison«, erwiderte Jenny mit einem Anflug von Reue und nahm ihre Post, die nach Größe sortiert war, aus dem Posteingangskorb.
»Haben Sie es noch rechtzeitig zu Ihrem Sohn geschafft?«
Es dauerte eine Weile, bis Jenny sich an den Vorwand erinnerte, unter dem sie am Vortag eine Stunde eher als sonst aus dem Büro geeilt war.
»Ja, danke. Gerade so.«
Sie blätterte durch die Post und nahm all ihren Mut für eine Entschuldigung zusammen. Wenn sie noch länger schwieg, hätte sie die Chance vertan. Dann würden sie sich den gesamten Tag eisig anschweigen.
»Hören Sie, Alison. Es tut mir leid, was ich gestern gesagt habe. Es steht mir nicht zu, Ihre Tochter ins Spiel zu bringen oder mir Urteile über Ihr Privatleben anzumaßen. Ich war sauer auf Simon Moreton, nicht auf Sie. Er hatte kein Recht, Sie nach vertraulichen Informationen zu fragen.«
»Entschuldigung angenommen, Mrs. Cooper«, sagte Alison, während sie ihre Augen auf die Schreibtischplatte gerichtet hielt.
»Sie hätten die Karten mit den Sprüchen nicht abnehmen müssen.«
»Sie haben am Arbeitsplatz nichts zu suchen. Bei der Polizei würde man so etwas auch nicht dulden. Nicht heutzutage.«
»Wie Sie meinen.«
Ein unbehagliches Schweigen folgte, keine der beiden wusste,
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