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Totenstätte

Totenstätte

Titel: Totenstätte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: M. R. Hall
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sie ihren Gedanken überließ.
    Als sie wieder an ihrem Schreibtisch saß, nahm sie das Tagebuch und versuchte erfolglos, ihre Verwirrung in Worte zu fassen. Mit Vernunft kam man der Sache nicht bei. Seit über drei Jahren drehte sie sich im Kreis und hatte keinerlei Einsichten gewonnen, sondern erinnerte sich lediglich an einen zwanzig Jahre alten Traum und ein paar unangenehme Kindheitserlebnisse, die aber wohl kaum für ihre jetzige Verfassung verantwortlich gemacht werden konnten. Trotz Jennys Qualen und ihrer Versuche, ihre persönliche und berufliche Situation zu verbessern, war keinerlei Licht ins Dunkel gebracht worden. Und wenn sie in sich ging, wurde alles nur noch schlimmer. Sie fühlte sich, als würde sie einen Sumpf durchqueren: Geh schnell, und der Boden trägt dich vielleicht. Bleib aber auch nur einen Moment stehen, und der Schlamm zieht dich hinab.
    Alles, was sie schreiben konnte, war: Es muss sich etwas ändern. Nachdenken führt zu nichts. Von jetzt an werde ich nur noch dorthin gehen, wohin mein Instinkt mich leitet, und darauf hoffen, das andere Ende zu erreichen.

8
    R oss registrierte ihren Stimmungsumschwung während des hektischen Frühstücks und brachte eine Art Entschuldigung für sein Verhalten vom Vortag zustande. Jenny riet ihm, die Sache einfach zu vergessen und sich lieber ein bisschen zu beeilen, sie hatte gleich eine Anhörung. Als er nach oben verschwunden war, um sich Gel ins Haar zu schmieren und sich mit Deo einzusprühen, ging sie in ihr Arbeitszimmer und schluckte ihre Tabletten. Als die Substanzen in ihren Blutkreislauf eintraten, legte sich die Aufgeregtheit, mit der sie aufgewacht war. Ihr Herzschlag beruhigte sich, ihre Glieder wurden schwer, und ihre wirren Gedanken ordneten sich. Sie redete sich ein, dass die Panikattacke vom Freitag ein Ausrutscher gewesen war, mit dem ihr Unterbewusstsein ihre Entschlossenheit hatte testen wollen. Sie hatte die Attacke abgewehrt und war daran gewachsen.
    Und jetzt wartete Arbeit auf sie.
    Alison hatte die Liste von Nazims und Rafis Kommilitonen abgearbeitet, aber nicht viel erreicht. Lediglich Dani James, das Mädchen, das den Mann aus dem Wohnheim Manor Hall hatte eilen sehen, hatte sich als Zeugin zur Verfügung gestellt. Dr. Sarah Levin hatte angeboten, sich am zweiten Anhörungstag Zeit zu nehmen, aber gleich darauf hingewiesen, dass sie der Aussage, die sie damals bei der Polizei gemacht hatte, nichts hinzuzufügen habe. Alle anderen hatten erklärtermaßen gar keine oder nur vage Erinnerungen an die beiden jungen Männer und konnten somit keine Informationen zu ihrem Verschwinden beisteuern. Am ersten Tag der Anhörung stand Jenny also mit einer ziemlich übersichtlichen Zeugenliste da, konnte sich so allerdings auf den zweiten Tag einstimmen, an dem verschiedene Polizisten und ein mittlerweile pensionierter MI5-Agent namens David Skene ihre Aussagen machen würden.
    Der Raum, der Jenny in der Rushton Millenium Hall als Büro zugewiesen worden war, besaß ein Fenster mit Blick auf den großen Saal, der auch als Turnhalle genutzt wurde. Alison hatte, soweit das überhaupt möglich war, das Mobiliar so umgestellt, dass er an einen Gerichtssaal erinnerte. Jenny empfand eine merkwürdige Freude dabei, die Anwälte eintreffen zu sehen und zu beobachten, wie sie sich begrüßten und angesichts des Ambientes den Kopf schüttelten. Im Foyer kündigten Plakate einen Quizabend für Senioren an, daneben hingen die Fotos vom letzten Weihnachtsmärchen der Gemeinde.
    Als Jenny vorne im Saal hinter ihrem Tisch Platz nahm, stellte sie erfreut fest, dass sich nur wenige Journalisten in den zwei Sitzreihen, die als Pressetribüne dienten, niedergelassen hatten. Zu viel Medieninteresse schüchterte die Zeugen oft ein oder verstärkte ihre Aufregung, was dazu führen konnte, dass sie nicht mehr verlässlich aussagten. Rechts von Jenny warteten fünfzehn Juroren, von denen acht ausgewählt werden würden. Mrs. Jamal saß unscheinbar in der zweiten Reihe. Neben ihr hatte eine Frau Platz genommen, die dem Aussehen nach eine Verwandte sein konnte. Beide trugen schwarze salwar kamiz – weite Hosen und weite, lange Hemden – und hatten sich breite Schals um den Kopf geschlungen. Die unbekannte Frau hielt Mrs. Jamals Hand fest in ihrem Schoß. Eine Gruppe Zeugen, darunter auch AnwarAli und eine hübsche junge Frau, die vermutlich Dani James war, saß in der ersten Reihe. In der rechten Saalecke, diskret hinter den Journalisten, konnte Jenny Alun Rhys

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