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Totensteige (Lisa Nerz) (German Edition)

Totensteige (Lisa Nerz) (German Edition)

Titel: Totensteige (Lisa Nerz) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christine Lehmann
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rauchte.
    »Un café, por favor!« Wie hieß hier Kaffee ohne Milch? »Negro?«
    Der Barkeeper lächelte nicht. Und würde auch nie lächeln. »American coffee?«, fragte er knapp zurück, als hätte ich Mondisch gesprochen.
    »Si no lleva azúcar ni otra mierda dentro!«, pampte ich. »Wenn da weder Zucker noch andere Scheiße drin ist.« Doch auch dieser Beweis meiner einheimischen Wortmacht bewog ihn nicht, vom Englischen abzurücken, wenn es schon sein musste, dass er die Kiefer bewegte. Als ich mir eine Zigarette zwischen die Lippen steckte, deutete er nur wortlos auf das Nichtraucherschild. Meinen Blick zu dem andern mit dem Joint ignorierte er.
    »Gilipollas!«, dachte ich. Fatzke!
    Von der Bitterkeit eines feindseligen Kaffees gestärkt machte ich mich zehn Minuten später auf die Suche nach der spanischen Asociación Española de Investigaciones Parapsicológicas. Die Urbanisation Girasoles sah auch so aus wie jüngst urbanisiert, bebaut, verkabelt und bepflanzt. Keine Palme war groß geworden. Hinter weißen Mauern standen Ferienvillen mit Türmen und Rundbögen, viele bereits wieder verlassen. An etlichen Toren hingen »se vende«-Schilder. Die Häuser standen zum Krisenverkauf. Seltsam, dass in so einer Gegend ein spanisches Institut angesiedelt war. Zweimal fuhr ich am Tor vorbei, so klein war das Schild. Auf mein Klingeln reagierte niemand. Ich überstieg die Mauer – Cipión passte unterm Tor durch – und erkannte, warum auch niemand mehr öffnen würde. Anstelle der Fensterscheiben klafften rußige Löcher. Es roch nach kalter Asche.
    Ich erinnerte mich, dass ich vorhin an der Baracke der Guardia Civil vorbeigefahren war, und kehrte zurück in den Ort. Eine junge Frau in grüner Uniform mit hellgrünem Hemd saß hinter einem Tisch an einem Computer. Überall waren Eimer aufgestellt, in die es von der Decke tropfte. Ich stellte mich als Journalistin aus Deutschland vor, die das Institut für Parapsychologie habe besuchen wollen und nun feststellen müsse, dass es abgebrannt sei. Ihr Befremden schwand, als ich hinzufügte: »Ich heiße Lisa.«
    Sie hieß Desamparado, hilflos, und erzählte, dass es in der Siedlung Girasoles vor vier Wochen gebrannt habe. Alles vernichtet. Vermutlich ein Kabelbrand. Girasoles, fiel mir ein, bedeutete Sonnendreher und erinnerte daran, dass Sonnenblumen ihre Gesichter mit dem Lauf der Sonne drehen.
    »Eigentlich wollte ich Héctor Quicio besuchen.«
    »Ah, Héctor!«, rief sie und lächelte plötzlich wie in Rückschau auf intimere Momente. »Der ist zurück nach Jávea gegangen. Seine Eltern haben dort ein Restaurant, am Arenal.«
    Das war eine unerwartet leicht gewonnene Information.
    Ich stoppte noch einmal kurz auf einem der Parkplätze rund um die Universität, betrat den wasserverspielten grünen Campus und fand eine Cafeteria, wo ich, ohne ein Wort sagen zu müssen, ein Brötchen mit Thunfisch bekam. Dann fuhr ich die Küste entlang gen Norden. Das Meer war blau und müde verglichen mit der schottischen Nordsee und ihren kreischenden Möwen.
    Freiheit ist die grinsende Larve der Einsamkeit. Unwillkürlich dachte ich an Juri Katzenjacob. Der sehnte sich aus seiner Zelle hinaus, hinauf zu den Flugzeugen und holte sie herunter. Und ich rollte in einem Auto, das mir nicht gehörte, eine Straße zwischen Himmel und Felsküste entlang, auf der Flucht vor dem Anblick meines Beziehungsdesasters. Ich war aus dem sozialen Gefüge gefallen. Niemand würde die nächsten Tage mehr als Floskeln mit mir austauschen. Mit niemandem würde ich mich beraten können. Es gab mich nicht mehr. Wenn mich hier der Tod holte, würde es lange dauern, bis in Stuttgart jemand auf meine Spur kam. Vielleicht nie.
    Cipión schaute mich vorwurfsvoll an. Ich stellte die Klimaanlage aus.
    Am Horizont baute sich ein Urviech aus Fels auf, das seine Pranken bis ins Meer vorschob. In der Bucht am Kap klebte Jávea in weißer Enge über einem zusammengedrängten Hafen. Die Zone von Badeschlappen und Sonnenmilch, der Arenal, befand sich südlich an einem kleinen Sandstück in der langgezogenen Bucht. Hier standen Restaurants wie eine Hecke.
    Ich fing links an, bestellte einen café americano und fragte den Kellner nach Héctor Quicio. Er war eine Saisonkraft aus Salamanca und kannte hier niemanden. Im nächsten Restaurant waren die Kellnerinnen Portugiesinnen, der Kellner Peruaner, der Besitzer ein Russe, und der Geschäftsführer kam aus Torrevieja. Doch er nannte mir einen Imbiss, der von

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