Totentanz für Dr. Siri - Cotterill, C: Totentanz für Dr. Siri - Disco for the Departed
buchstäblich aus dem Mund gerissen. Es würde mich nicht wundern, wenn sich in der Lunge noch mehr Zement befände.«
»Mein Gott«, sagte Lit. »Sie meinen, er war noch am Leben, als er in Beton gegossen wurde?«
»Sieht ganz so aus«, bestätigte Dtui.
»Was für ein grauenhafter Tod. Wer könnte so etwas getan haben?«
»Der Größe des Toten nach zu urteilen, dürfte der Täter ungemein kräftig gewesen sein«, antwortete Siri.
»Der oder die Täter«, setzte Dtui hinzu.
»Stimmt. Danke für den Hinweis. Genosse Lit, meinen Sie, der Präsident hat etwas dagegen, wenn wir sein Konferenzzimmer als Sektionssaal zweckentfremden?«
»Ich habe den Schlüssel«, sagte Lit. »Aber er reist nächste Woche zum Konzert an.«
»Wenn wir den Fall bis dahin nicht geklärt haben, werden wir ihn niemals klären, junger Mann. Ich bin der Erste, der eine Niederlage eingesteht.«
Richter Haeng kam aus seinem Gerichtssaal, wo er sich wieder einmal den halben Tag mit kleinlichen Familienstreitigkeiten hatte herumschlagen müssen. Eine Stadt, die alle tatsächlichen und potenziellen Verbrecher eingekerkert
und die Kriminalität per Dekret abgeschafft hatte, war ein freudloser Ort für einen Richter. Er durchquerte das Sekretariat des Justizministeriums, wo die Angestellten an ihren Tischen saßen und in ihre klobigen Schreibmaschinen schwitzten. Sie nickten ihrem jungen Dienstherrn mit sichtlich gebremstem Enthusiasmus zu. Seit er vor zwölf Monaten die Moskauer Universität verlassen und sein Richteramt angetreten hatte, würdigte er sie kaum einer Silbe. Gewöhnlich kommunizierte er ausschließlich über die Bürovorsteherin Frau Manivone mit ihnen. Als er an ihren Schreibtisch trat, erhob sie sich artig und setzte ein nichtssagendes Lächeln auf. Sie trug eine frisch gebügelte khakifarbene Bluse und dazu einen knöchellangen schwarzen phasin . Gewöhnlich war sie ebenso sachlich wie ihre Kleidung.
»Wohlsein, Richter Haeng.«
»Ist er weg?«
»Wer?«
»Die Missgeburt aus der Pathologie.«
Sie seufzte. »Falls Sie Herrn Geung meinen, den haben sie gestern Abend abgeholt. Er müsste spätestens Mittwoch ankommen.«
»Gut. Ausgezeichnet.« Er hielt schnurstracks auf sein Büro zu.
»Aber …«
Er drehte sich noch einmal um. »Was?«
»Nun ja, ich verstehe das nicht ganz. Herr Geung ist bei allen sehr beliebt.«
»Beliebt? Ich höre wohl nicht recht! Ist das hier ein Ministerium oder ein Asyl für Sonderlinge und Außenseiter? Ich liebe meine Großmutter heiß und innig« – Frau Manivone glaubte ihm kein Wort -, »trotzdem käme ich nicht
im Traum auf die Idee, sie mit einem leitenden Posten in der Gerichtsmedizin zu betrauen. Welchen Eindruck würden ausländische Besucher wohl mit nach Hause nehmen, wenn sie sähen, dass unser Staat Idioten beschäftigt?«
Obwohl sie diverse Antworten auf diese Frage parat hatte, stieß sie halblaut hervor: »Dass uns an unseren Mitmenschen gelegen ist?«
»Wie war das?«
»Ich kann mir nicht vorstellen, dass Dr. Siri davon sehr begeistert sein wird.«
Der Richter schlenderte zurück zu ihrem Schreibtisch. »Ach nein?«
»Nein.«
Er stützte sich auf die Tischplatte und erhob die Stimme, sodass ihn alle hören konnten. »Helfen Sie mir auf die Sprünge, junge Frau – arbeitet Dr. Siri für das Justizministerium?«
»Ja, Richter Haeng.«
»Und bin ich der Leiter des Justizministeriums?«
Manivone rief sich ins Gedächtnis, dass sie drei Kinder zu ernähren hatte. »Ja, Richter Haeng.«
»Und tut er, was ich ihm sage, oder tue ich, was er mir sagt?«
»Also, wenn Sie mich so direkt fragen. Weder noch, Genosse.« Eine ebenso unbesonnene wie zutreffende Bemerkung. Die umgehend mit einer Parteilosung bestraft wurde.
»Jetzt werden Sie mal nicht frech, Genossin Manivone. Im sozialistischen Bienenstock ist eine Biene so wichtig wie die andere. Aber wenn die Drohne der Königin gegenüber den nötigen Respekt vermissen lässt, fließt der Honig nicht halb so süß. Merken Sie sich das.«
»Jawohl, Richter Haeng.«
Er blickte zu den Schreibern, die sich eilends wieder ihrer Arbeit widmeten. Mit einem blasierten Lächeln auf den Lippen stolzierte er zu seinem Büro. Er hätte einen bühnenreifen Abgang hingelegt, wäre die verklemmte Tür nicht gewesen. Er warf sich laut fluchend dagegen, bis sie schließlich nachgab und er in sein Büro stolperte. Die Tür flog hinter ihm ins Schloss.
»Gott schütze die Königin«, kommentierte ein Schreiber das verdruckste
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