Totentanz für Dr. Siri - Cotterill, C: Totentanz für Dr. Siri - Disco for the Departed
erfahren. Bitte vertrauen Sie mir. Ich muss wissen, was bei dem Hinterhalt genau geschah. Wie ist Oberst Ha Hung ums Leben gekommen?«
Giap sah zum Zelteingang, dachte ein paar Sekunden über die Frage nach und beugte sich dann quer über den Tisch zu Siri. »Er wurde von einem Augenblick zum anderen verrückt, Doktor. Im Ernst. Wir befanden uns in einem Tal. Unsere Krad-Eskorte hatten sie schon abgeschlachtet, aber unsere Wagen waren gepanzert. Wir hätten noch tagelang ausharren können. Normalerweise legten die Hmong einen Konvoi ein paar Stunden lahm, knallten jeden ab, der ihnen vor die Flinte kam, und verschwanden dann im Dschungel, um sich mit ihren Heldentaten zu brüsten. Die Yankees waren kurz zuvor abgezogen, sie hatten also keinen unbegrenzten Munitionsvorrat mehr zur Verfügung, mit dem sie uns Feuer unterm Hintern hätten machen können. Wir hätten bloß abzuwarten brauchen.«
»Aber?«
»Aber« – er senkte die Stimme – »auf einmal war der Oberst wie von Sinnen. So hatte ich ihn noch nie erlebt.
Im Kampf war er stets die Ruhe selbst gewesen. Ich habe ihn nicht ein einziges Mal die Beherrschung verlieren sehen. Aber an diesem Tag sagt er plötzlich so was wie: ›Du hast es nicht besser verdient!‹ Mit tiefer, unheimlicher Stimme. Er zieht seine Pistole und springt aus dem Panzerwagen. Er springt einfach raus, wie ein Cowboy. Und brüllt ›Attacke!‹. Wie kann ein Mensch so blöd sein, in einer Situation wie dieser anzugreifen? Eben. Also rührten wir keinen Finger. Aber damit hatte er wohl auch nicht ernsthaft gerechnet. Er rannte mutterseelenallein über die Lichtung. Er landete noch ein, zwei Treffer, aber ich wette, die Hmong saßen in den Bäumen und lachten sich ins Fäustchen. Ein uniformierter Offizier? Damit ließ sich mächtig Eindruck schinden. Sie durchsiebten ihn mit Blei.«
Siri war verblüfft. »Dann war das Ihrer fachmännischen Meinung nach also nicht die Tat eines Mannes im Vollbesitz seiner geistigen Kräfte?«
»Alle Überlebenden waren sich einig, dass der Teufel in ihn gefahren war, Doktor. Wir alle, ohne Ausnahme.«
12
HINTER DEM SCHRANK
Bei Kasi kam Herr Geung wieder auf die Bundesstraße 13. Er wusste nicht, dass es dieselbe Straße war, die er vier Tage zuvor verlassen hatte. Die Straßen sahen alle gleich aus. Aber da die Sonne ihn nach Süden lotste, wusste er, dass die Straße in die richtige Richtung führte.
In seiner Hand lag ein spitzer Stock. Er diente ihm als Waffe gegen wilde Tiere. Der Stock, der den Tiger getötet hatte, war sehr viel größer gewesen, doch der Ast hatte sich als zu schwer erwiesen, um ihn mitzuschleppen. Ein Stock war ein Stock. Und ein toter Tiger war ein toter Tiger.
Es war kurz vor Tagesanbruch, und er hatte die ganze Nacht kein Auge zugetan. Der Tiger lag direkt unter ihm und wartete darauf, dass er müde wurde und vom Baum fiel wie eine reife Mango. Er hatte mehrmals versucht, ihm nachzuklettern, ohne Erfolg. Einmal hatte Geung ihm mit seinem Stiefel fast die Zähne eingetreten. Die Wucht des Tritts war so groß gewesen, dass der Tiger aus dem Gleichgewicht geraten und zu Boden gestürzt war. Geung hatte ein schlechtes Gewissen deswegen. Von da an schlief der ebenso frustrierte wie geduldige Tiger mit gespitzten Ohren.
Später überlegte Geung, ob das Tier das Knacken wohl gehört hatte, bevor der Ast, auf dem er saß, gebrochen war. Er wusste nur noch, dass er und der Ast urplötzlich mit rasender Geschwindigkeit in die Tiefe stürzten. Er hörte ein zweites Knacken, gefolgt von einem dumpfen Schlag, worauf ihm ein stechender Schmerz vom Steißbein aus zwischen die Schulterblätter fuhr. Er landete im dichten Gras und wartete ächzend und keuchend darauf, dass der Tiger kam und ihn in Fetzen riss. Doch der Tiger kam nicht.
Er wandte den Kopf und sah die Katze neben sich liegen, tot. Sie war wunderschön. Ihre Augen waren schwarz umrandet wie die der Mädchen hinter dem Markt in der Hanoi Road. (Er hatte sie nur angeschaut, nicht angefasst.) Ihr dichtes Fell war prachtvoll gemustert. Er streckte den Arm aus und ließ die Finger durch das weiche Haarkleid gleiten. Er wölbte die Hand schützend um ihr trauriges Gesicht. Der Ast hatte ihr das Genick gebrochen. Geung legte seine kalte Nase an ihre warme Schnauze und weinte.
Abgesehen von den Schaben im Leichenschauhaus und den Abermillionen Mücken (die laut Dr. Siri keinen Schmerz empfanden und folglich auch kein Mitleid verdienten) hatte Herr Geung noch nie ein anderes
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