Totentanz für Dr. Siri - Cotterill, C: Totentanz für Dr. Siri - Disco for the Departed
Wachposten hielt sich das knatternde Walkie-Talkie ans Ohr, dann zeigte er auf das Hauptzelt, hob die Schranke und ließ Siri passieren. Während der Laster die kleine Anhöhe erklomm, auf der die Ausländer Quartier genommen hatten, sah Siri, dass hier und da massive Gebäude errichtet wurden. Kaum war er
auf der Kiesfläche vor dem Offizierszelt zum Stehen gekommen, eilte auch schon ein Hauptmann auf ihn zu. Siri erkannte ihn sofort.
»Dr. Siri.« Der Soldat lächelte und schüttelte ihm herzlich die Hand.
Siris Vietnamesisch war ein wenig eingerostet. »Hauptmann Vo Chi. Ich hatte keine Ahnung, dass Sie hier sind. Wie ist das werte Befinden?«
»Hervorragend, Ihren Bemühungen sei Dank, mein lieber Freund. Ich dachte, Sie lägen schon seit geraumer Zeit unter der Erde.«
»Ihr Verdacht ist nicht ganz unbegründet, Genosse. Ich habe in der Tat herzhaft ins Gras gebissen und mir die Radieschen ein Weilchen von unten angesehen. Aber dann plötzlich legte sich ein Lasso um meinen Hals, und ich wurde schnurstracks ins schnöde Dasein zurückgezerrt.«
Im Messzelt nahmen sie einen Imbiss zu sich und erzählten sich Geschichten aus der Zeit, als der Doktor Vo Chis Division als Feldarzt begleitet hatte. Doch Siri war nicht hierhergekommen, um in Erinnerungen zu schwelgen. Bevor er sich auf die lange Heimfahrt machte, musste er jede Menge Informationen sammeln. Siri nannte Vo den Namen des Mannes, für den er sich interessierte. Vo war dem Oberst zwar nie begegnet, kannte aber einen alten Oberstabsfeldwebel, der im Krieg jahrelang unter dem Kommandeur gedient hatte. Vo beauftragte einen Offizier, den Mann zu suchen und ins Messzelt zu bringen.
Während Siri sich nicht an Oberstabsfeldwebel Giaps Gesicht entsinnen konnte, erkannte der alte Kämpe den Doktor auf Anhieb wieder. Er wusste sogar noch, wie er hieß. Siri hatte so viele Schlachten, so viele Einheiten, so viele Versetzungen und nicht zuletzt so viele Männer hinter
sich, dass er sich unmöglich an jeden Einzelnen erinnern konnte. Er kam ohne Umschweife zur Sache.
»Wie ist der Oberst ums Leben gekommen?«
»Er geriet in einen Hinterhalt der Hmong, Doktor.« Der Oberstabsfeldwebel antwortete prompt, nicht ohne seinem Hauptmann einen verstohlenen Blick zuzuwerfen. Siri fragte sich, ob es sich um die offizielle Lesart des Ablebens von Oberst Ha Hung handelte.
»Wenn ich recht verstehe«, fuhr Siri fort, »nahm der Oberst seine Familie mit, als er nach Vieng Xai versetzt wurde.«
Mit der Beantwortung dieser zweiten Frage schien der Oberstabsfeldwebel weitaus weniger Schwierigkeiten zu haben. »Ja, Genosse. Seine Frau und seine Tochter.«
»Sonst niemanden?«
»Nein. Außer ihrem moi -Dienstmädchen, natürlich.« Moi war die abwertende Bezeichnung für die Montagnards. Die Bergvölker waren für die Vietnamesen das, was die Hmong für die Laoten waren: eine unterdrückte, ungeliebte Minderheit. Aus dem Tonfall des Oberstabsfeldwebels sprachen Hohn und Verachtung.
»Kannten Sie die Frau und die Tochter?«, fragte Siri.
»Aber ja. Selbstverständlich. Da es sich um einen unbefristeten Posten handelte, durften wir unsere Familien mitnehmen. Meine bessere Hälfte war damals auch hier.«
»Wie war die Tochter?«
»Bildschön. Sie hieß Hong Lan – rosa Orchidee. Sie müsste damals so um die … siebzehn gewesen sein, würde ich sagen. Hinter ihr waren mehr Jungs her als hinter den Hmong. Knusprig, die Kleine.«
Siris Fingerspitzen kribbelten. »Und hat sie sich jemand geangelt?«
Wieder blickte Giap zu seinem Hauptmann. »Der Oberst und seine Frau waren sehr strenge Eltern. Vor allem der Oberst hütete die Kleine wie seinen Augapfel. Er machte von Anfang an klar, dass er jeden Mann erschießen würde, der ihr zu nahe kam. Und wenn er wütend wurde, konnte man es mit der Angst zu tun bekommen. Er hat mir mehr als einmal einen gehörigen Schrecken eingejagt.«
»Meinen Sie, er hätte seine Drohung wahrgemacht und tatsächlich jeden erschossen, der sich ihr näherte?«
»Woher soll ich das wissen, Doktor?« Er wandte sich hilflos lächelnd an den Hauptmann, doch der verzog keine Miene.
»Richtig«, sagte Siri. »Natürlich. Dann hat Ihres Wissens also niemand offiziell beim Oberst um sie angehalten?«
»Das hätte wohl kaum jemand gewagt, außer vielleicht …«
»Wer?«
»Nun ja, es gab Gerüchte. Aber Sie sind vermutlich nicht hierhergekommen, um sich Klatsch und Tratsch anzuhören, oder, Doktor?«
»In der Not frisst der Teufel Fliegen.«
»Na
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