Totentanz im Monsterland
wissen müssen…«, er unterbrach sich, um das Folgende noch besser zur Geltung kommen zu lassen – »und vielleicht auch ein paar Dinge, die wir besser gar nicht erfahren würden.«
»Verdammnis«, hub Snarks an. Ich warf dem kleinen Dämonen einen raschen Blick zu.
»Was soll’s«, sagte er achselzuckend, »Hendrek mag zwar unten zurückgeblieben sein, aber sein Geist ist mit uns.«
»In der Tat. Hubert, wenn du uns nun bitte zu den Drei Parzen führen würdest?«
»Nicht nötig«, entgegnete der Drache. »Die Parzen werden uns schon finden.«
Und mit diesen Worten veränderte sich das Wetter in dramatischer Weise, als hätten die Parzen uns gehört. Der Nebel löste sich in Sekundenschnelle auf, und wir fanden uns auf einer sonnendurchglühten, windgepeitschten Bergkuppe wieder, etwa hundert Fuß von einem imposanten Gebäude aus glänzendem schwarzem Stein entfernt.
»Der Tempel der Parzen«, erklärte Hubert.
»Wen verlangt es nach der Weisheit der Parzen?« rief eine Frauenstimme.
»Drei bescheidene Wanderer«, rief ich zurück, »die den Weg zum Himmel suchen.«
»Ein würdiges Ziel!« erwiderte die Frau. »Ihr mögt euch dem Tempel nähern.«
»In der Tat«, flüsterte ich den anderen zu. »Vielleicht sollten Snarks und ich jetzt besser absteigen. Ich weiß nicht, ob es von guten Manieren zeugen würde, auf dem Rücken eines Drachen in den Tempel zu reiten.«
Keiner meiner Gefährten war anderer Ansicht, was die Etikette betraf, und so rutschte der Dämon und ich von unserem Sitz auf dem Rücken des Drachen und schritten den sanften Hang zu dem beeindruckenden Gebäude hinan. Wir setzten unseren Fuß auf die erste Schwelle des Tempels.
»Ihr mögt eintreten!« rief die Stimme aus dem Innern. »Und wir werden drei Fragen beantworten – nicht mehr und nicht weniger –, auch wenn wir uns entschuldigen müssen, denn im Moment sind wir etwas knapp an Personal.«
Ich nahm rasch die letzten beiden Stufen und betrat das Gebäude durch ein gewaltiges Rundportal. Die Wände im Innern des Tempels waren ebenfalls vollkommen schwarz, doch schimmerten sie in einem irisierenden Licht. Ich hörte Snarks hinter mir, während unsere Schritte auf dem marmorharten Boden widerhallten.
»Wendet euch um«, erklang die Stimme wieder, »und seht den Schicksalsgöttinnen ins Auge.«
Ich tat wie geheißen; in den Augenwinkeln konnte ich noch sehen, daß Hubert seinen Kopf durch das Rundportal gesteckt hatte. Was ich jedoch als nächstes zu sehen bekam, unterband jegliche Bewegung – abgesehen von derjenigen meiner Kinnladen, die abrupt herunterklappten.
Zwei Frauen standen auf nebeneinanderliegenden Podesten – wenn es denn wirklich Frauen waren, denn sie trugen lange Roben, Roben von einem schimmernden Grau oder Weiß oder Schwarz oder vielleicht auch von allen Farben des Regenbogens. Sie waren groß und geschmeidig, hatten langgliedrige Hände und wohlgestaltete Füßchen, und auch ihre Haarflechten entzogen sich jeglichem Versuch einer farblichen und stofflichen Einordnung.
Indes waren es nicht ihr Haar und ihre Kleidung, die mich irritierten: Richtig erstaunten mich nur ihre Gesichter, wenn man denn dieses Wort auf die runden Auswüchse, die auf ihren Hälsen saßen, anwenden konnte. Nicht, daß sie keine Augen, Ohren, Nasen oder Münder oder zu viele davon gehabt hätten – nein, zu einer bestimmten Sekunde hatte jede von ihnen nur zwei Augen, eine Nase und einen Mund. Das Erstaunliche war nur, daß die Augen, die eben noch klein und blau gewesen waren, im nächsten Augenblick groß und schwarz waren, um sich sodann in mandelförmige grüne zu verwandeln. Mund, Nase, Wangen, Haut, jeder einzelne Teil des Gesichts unterlag einer permanenten, fließenden Veränderung, so daß die Gesichter zu jeder erdenklichen Sekunde vollkommen verschieden aussahen. Und all das geschah mit unglaublicher Geschwindigkeit: ein Antlitz und ein anderes, ein drittes, ein unendliches. Die Gesichtszüge wechselten wie Wolkenbänke vor der Sonne. Es war, als bildeten sich hier sämtliche Gesichter aller Frauen, die jemals gelebt hätten oder noch leben würden. Doch nach kurzer Zeit wurde mir bewußt, daß auch diese Erklärung viel zu einfach sei, denn auch dafür waren die Gesichter noch zu viele und zu vielfältige. Es waren auch die von Männern und Kindern, jedes Alters, jeder Rasse, jeder Hautfarbe.
Das, dachte ich, waren also die Parzen.
Die auf der linken Seite neigte leicht ihr Haupt.
»Ich bin Viktoria.«
Diejenige
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