Totenverse (German Edition)
Polizei kommt …«
»Vielleicht sollten Sie zur Polizei gehen«, schlug er vor.
»Nein!«, stieß sie hervor. »Sind Sie verrückt? Wissen Sie, was die mit mir machen werden?«
»Vielleicht wollen sie nur mit Ihnen reden –«
»Wohl kaum!«, sagte sie. »Hören Sie, ich spreche zwar nicht Ihre Sprache, aber über die Polizei hier weiß ich verdammt gut Bescheid. Die sind alle verrückt und haben absolute Narrenfreiheit! Wissen Sie, dass ein Freund von Eric des Landes verwiesen wurde, weil er sich mit einer Frau getroffen hatte? Die haben ihn erwischt und – zack! Er hatte nicht mal vierundzwanzig Stunden, um seine Sachen zu packen. Und – ein anderer Bekannter von uns ist festgenommen worden, weil er ein Kreuz um den Hals trug. Sehen Sie mich nicht so an – er war katholisch! Das Kreuz war winzig. Die haben ihn sechs Monate in Haft behalten! Das muss man sich mal vorstellen. Und mein Mann wird im Zuge einer Mordermittlung gesucht. Was glauben Sie wohl, was die mit mir machen?«
»Aber Sie haben doch nichts Unrechtes getan«, sagte er rasch.
»Falls Eric und diese Frau was miteinander hatten, was meinen Sie, wie lange die dann wohl brauchen, bis sie sich überlegen, ich könnte vielleicht gleich beide zusammen aus Eifersucht umgebracht haben?«
»Sie waren doch gar nicht im Land, als sie ermordet wurde, hab ich recht?«
»Ich weiß es nicht!«
»Allem Anschein nach ist sie vor etwas über einer Woche gestorben.«
»Okay, da war ich nicht hier. Aber wird die das interessieren? Ich hab von einem Fall gehört, da wurde das Hausmädchen einer Frau verhaftet, weil der Vater in der Familie Geld geklaut hatte. Das Hausmädchen wurde verhaftet und gefoltert . Und dabei hatte sie Urlaub gehabt, als der Diebstahl passiert ist!« Sie sah ehrlich fassungslos aus. Nayir musste zugeben, dass er selbst auch überrascht war. Er hätte ihr gern gesagt, dass solche Geschichten herumerzählt wurden, weil sie so ungewöhnlich waren, und dass die Polizei Miriam weder foltern noch des Mordes beschuldigen würde, wenn sie nachweislich gar nicht im Land war, als der Mord geschah, aber im Grunde wusste er nicht, was die Polizei machen würde.
»Diese Information könnte extrem wichtig für die Ermittlungen sein«, sagte er. »Erlauben Sie mir wenigstens, der Polizei davon zu erzählen.«
»Ich weiß, wie das läuft«, sagte sie und flüchtete sich mehr und mehr in ihren Zorn. »Die suchen sich eine gute Verdächtige und foltern sie, bis sie gesteht. Sagen Sie bloß nicht, das wär nicht so, dazu hab ich das schon von zu vielen Leuten gehört. Es steht sogar in Büchern, Herrgott noch mal.«
»Okay«, sagte er, bemüht, die Ruhe zu bewahren, »aber vielleicht darf ich der Polizei wenigstens sagen, dass Erics Verschwinden mit Leilas Tod zusammenhängen könnte und dass Eric möglicherweise in Gefahr ist.«
So rasch, wie sie hysterisch geworden war, so rasch brach sie jetzt förmlich in sich zusammen. »Oh«, sagte sie ruhiger. »Ja. Ja, okay, das können Sie ihnen sagen. Aber ich bleibe hier. Ich muss bloß …« Sie legte eine Hand an die Autotür und stützte sich ab. »Vielleicht ein Hotel«, sagte sie. »Irgendwo, wo es ruhig ist. Ich muss nachdenken.«
»Also gut«, sagte er. »Ich fahre Sie jetzt irgendwohin. Mrs Walker?« Er trat näher, weil er dachte, sie würde ohnmächtig.
»Sie bringen mich nicht zur Polizei, oder?«
»Nein«, sagte er. »Aber es ist sehr heiß. Sie sollten einsteigen.«
Er öffnete die Tür, und sie folgte seiner Aufforderung argwöhnisch. Nayir beeilte sich, den Wagen zu starten und loszufahren, weil er halb fürchtete, sie könnte gleich wieder hinausspringen und davonlaufen. Er hatte keine Ahnung, wo er sie hinbringen sollte. Nach Hause konnte sie auf keinen Fall, das war klar. Gut möglich, dass die Polizei schon dort auf sie wartete. Auf sein Boot konnte sie auch nicht. Das war zu klein und eng, und die Nachbarn würden sie bemerken, und wenn die Polizei sie dort allein mit ihm antraf, könnten sie ihr unsittliches Verhalten vorwerfen und sie schon allein deshalb festnehmen. Die einzige Frau, die er kannte, war Katya, und zu ihr konnte er Miriam erst recht nicht fahren, weil das Katya in eine schwierige Lage bringen würde.
Miriam betete stumm: Bitte Gott, bitte Jesus, bitte mach, dass Eric nichts zugestoßen ist . Die Vorstellung, dass er sie betrogen hatte, war schon schmerzlich genug, auch ohne die grauenhafte Möglichkeit, dass er seinen Arbeitgeber bestohlen und sich
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