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Totenverse (German Edition)

Totenverse (German Edition)

Titel: Totenverse (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Zoë Ferraris
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Schach gehalten und nicht rübergeschaut. Du hast gesagt, du musst mit mir reden , wollte er sagen, aber ihm graute vor dem drohenden Gespräch, ganz gleich worum es ging. Zugleich wusste er, dass er ihr von Miriam und den Ereignissen des Tages erzählen musste.
    »Welches Buch suchst du denn?«, fragte er in dem halbherzigen Versuch, ein Gespräch zu beginnen. Sie hatte gesagt, ihr Cousin Ayman brauche ein Lehrbuch für die Schule.
    »Irgendwas mit Computern«, sagte sie. »Ich hab’s mir aufgeschrieben.« Sie kramte in ihrer Handtasche, was Nayir irgendwie beruhigte. Als sie den Zettel schließlich fand, parkte er den Wagen bereits neben einem klotzigen Betonbau mit Glasfront, die rechts und links von zwei riesigen Schriftzügen »Jarir Bookstore« in Englisch und Arabisch gerahmt wurde. Er stieg aus und wappnete sich innerlich.
    Der Riesenladen mit seinen endlosen Gängen, prall gefüllten Regalen und vielen ausländischen Büchern, die offen zwischen den arabischen angeboten wurden, war wie eine andere Welt. Er folgte Katya in den hinteren Bereich und sah sich nach anderen Kunden um. Er wollte wissen, was für Leute englischsprachige Bücher kauften. Er sah ein Paar, in dem er sofort Amerikaner vermutete – der Mann war dünn und blond, und das Gesicht seiner Frau wirkte geradezu strahlend weiß im Kontrast zu ihrem schwarzen Kopftuch. Sie amüsierten sich über irgendwas am Zeitschriftenstand. Aber wer waren die anderen Käufer? Ein hoch aufgeschossener Junge, der aussah wie der klassische Streber, studierte eine Computerzeitschrift. Er trug ein seidig glänzendes weißes Kopftuch und ein ebensolches Gewand, das bei jemand anderem elegant hätte aussehen können, bei ihm jedoch nur unterstrich, wie mager er war. Drei Kinder rannten lachend und kreischend vorbei und wären fast gegen Nayirs Bein geprallt, wenn er ihnen nicht geistesgegenwärtig ausgewichen wäre. Er sah ihnen nach, wie sie hintereinander her durch einen langen Gang mit Kinderbüchern jagten. Von ihren Eltern war weit und breit nichts zu sehen.
    Katya führte ihn durch eine große und scheußlich bunte Abteilung mit Selbsthilfebüchern, deren Titel ihn postwendend erröten ließen: Retten Sie Ihre Beziehung, Jetzt! Oder: Warum Frauen unglücklich sind und was Sie dagegen tun können . Das öffentliche Eingeständnis, dass Beziehungen schwierig und unheilschwanger waren, war schon schlimm genug, aber bei der Vorstellung, dass ein Buch dagegen Abhilfe schaffen konnte, musste er sich innerlich winden. Was hatten die Frauen denn gemacht, bevor es diese Bücher gab? Stumm gelitten? Was hätte der Prophet gemacht, mit seinen siebzehn Frauen? Im untersten Regal entdeckte er: Wie man Freunde gewinnt: Die Kunst, beliebt und einflussreich zu werden . Zuerst meinte er, sich verlesen zu haben, dann staunte er über diese Verbeugung vor der menschlichen Eitelkeit. Als sie an einem Regal mit DVDs vorbeikamen, wurde er erneut abgelenkt. Sein Blick fiel auf Cinderella , ganz blonde Zeichentrickmähne, und auf etwas namens The Fantastic Four , auf dessen Cover eine Frau mit üppigen Brüsten und langem, wallendem Haar prangte, die der Zensur offenbar entgangen war. Einen schrecklichen Moment lang konnte er die Augen nicht von dem Foto reißen, angewidert und fasziniert zugleich – war das etwa ein Film für Kinder? –, bis die Schicklichkeit ihn zwang, sich abzuwenden.
    »Hat dein Cousin kein Auto?«, fragte er, verzweifelt bemüht, seine Aufmerksamkeit auf Katya zu richten. Die Frage, die er eigentlich stellen wollte, lautete: Wieso bittet er dich, eine Frau, für ihn in einen Buchladen zu gehen?
    »Doch«, sagte sie ziemlich kühl, »er hat ein Auto, und er ist nicht der Auffassung, Frauen sollten alles für ihre Männer erledigen. Aber er hat einen schlechten Orientierungssinn. Es grenzt schon an ein Wunder, dass er es überhaupt jeden Abend schafft, mich am Präsidium abzuholen.«
    Er stolperte innerlich über die Formulierung Frauen sollten alles für ihre Männer erledigen , denn sie schien zu besagen, dass sie ihre Männer bereits hatte – ihren Vater und ihren Cousin – und dass er nicht in diese Kategorie fiel.
    Sie fand das Buch und ging damit zur Kasse in der Nähe des Eingangs. Er tat so, als bemerke er gar nicht, dass sie ihren Neqab oben ließ, während sie bezahlte. Es kam ihm so vor, als sehe er inzwischen jedes Mal, wenn er in der Stadt unterwegs war, die ein oder andere Frau, die kein Kopftuch trug, oder manchmal sogar eine Frau,

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