Totenverse (German Edition)
da ein sonderbarer Geruch. Es war ein Männergeruch, wie Aftershave und Seife, und … das hat mir richtig Angst gemacht.«
»Könnte Ihr Mann da gewesen sein?«, fragte Nayir.
»Nein, es war nicht sein Geruch. Aber irgendwer ist da gewesen. Deshalb bin ich heute Morgen so früh aus der Wohnung. Und ehrlich gesagt«, fügte sie hinzu und presste kurz die Lippen zusammen, »war das auch der Grund, warum ich Sie angerufen hab. Ich meine, das Taxiunternehmen war tatsächlich ausgebucht, und dass die Adresse des Vermieters veraltet war, stimmte auch. Aber ich wollte nur noch weg da. Ich hab mich dauernd gefragt, ob derjenige, der in meine Wohnung eingebrochen ist, nicht vielleicht noch irgendwo lauert.«
Nayir spürte einen Schmerz in der Stirn, weil er sie so fest gerunzelt hatte. »Fehlte irgendwas in der Wohnung?«
»Ich hab mir nicht die Zeit genommen, das zu überprüfen, aber meine Handtasche hatte ich bei mir, und ansonsten ist eigentlich nichts von Wert da.« Sie blickte nach unten auf ihr Tablett und nahm sich zögernd noch einen Hähnchenschenkel. »Meinen Sie, dass vielleicht Polizisten in meiner Wohnung waren?«
Nayir schüttelte den Kopf. »Die hätten wahrscheinlich auch bei den Nachbarn nachgefragt, falls sie nach Ihnen gesucht hätten.«
»Dann ist da noch was«, sagte sie und griff in ihre Tasche, verharrte aber mitten in der Bewegung und sah ihn an.
»Ja?«, fragte er.
Sie zog ein gefaltetes Blatt Papier heraus. »Ich muss wissen, dass ich Ihnen vertrauen kann.«
Er nickte unsicher.
»Versprechen Sie mir bitte, dass Sie ohne meine Einwilligung niemandem hiervon erzählen.« Sie hielt das Blatt Papier hoch. »Ganz gleich, was es ist.«
»Was ist es denn?«
»Ich weiß nicht. Vielleicht ist es ganz unwichtig. Aber bitte versprechen Sie es mir.«
Er sah ihr an, dass sie vor irgendwas Angst hatte. »Also gut«, sagte er. »Ich verspreche es.«
Sie schob ihm das Blatt langsam über den Tisch zu. »Ich kann es nicht lesen. Könnten Sie mir einfach bloß sagen, was da drinsteht?«
Er wischte sich die Hände ab, entfaltete das Blatt, und als er es überflog, wurde ihm tonnenschwer ums Herz. Es war ein Trauschein auf billigem Papier, genauer gesagt ein Misyar wie der, den er mal gehabt hatte, ein Vertrag über eine Zeitehe, wie Männer und Frauen sie manchmal abschlossen, wenn sie keine reguläre Ehe eingehen wollten. Der Name des Bräutigams war Eric Walker.
»Wo haben Sie das gefunden?«, fragte er und merkte selbst, wie angespannt seine Stimme klang.
»In Erics Aktenmappe. Zu Hause. Warum? Was ist das?«
Nayir blickte nach unten auf das Blatt. Die Antwort fiel ihm schwer. Schließlich hatte Miriam schon so viel Unbegreifliches über ihren Mann erfahren, aber er rang sich durch. »Es ist ein falscher Trauschein«, sagte er. »Streng genommen, ist er legal. Er wurde von einem Imam unterzeichnet. Aber hier steht, dass Ihr Mann eine Frau namens Leila Nawar geheiratet hat.«
Miriams Gesicht hatte eine beängstigend graue Farbe angenommen. Sie starrte ihn verständnislos an.
»Es tut mir leid«, sagte er. »Aber diese Frau –«
»Ist die Tote«, warf Miriam ein.
»Ja.« Er faltete das Blatt wieder zusammen und machte Anstalten, es ihr zurückzugeben, überlegte es sich aber anders. Er wollte ihr sagen, sie solle es vernichten, aber das wäre natürlich von Nachteil für die Ermittlungen. »Sie sollten das wirklich nicht –«
»Er war es nicht«, sagte sie mechanisch, noch immer stocksteif und mit starrem Blick.
Nayir war sicher, dass sie eine neue Stufe der Verdrängung erreicht hatte und dass vielleicht alles, was sie bislang über Eric gesagt hatte, von demselben Impuls gespeist war. Eric hatte offensichtlich Ehebruch begangen – oder zumindest eine zweite Frau geheiratet ohne Einwilligung der ersten. Und er schien durchaus auch als Mörder infrage zu kommen.
»Ich muss hier raus«, sagte sie, stand unvermittelt auf und stürmte durch die Plastiktür nach draußen.
Nayir steckte den Trauschein ein und eilte ihr nach. Mit Erleichterung sah er, dass sie auf den Rover zuging. Er holte sie ein. »Mrs Walker …« Sie blieb stehen und ließ den Blick benommen über den Parkplatz schweifen. »Wo kann ich Sie hinbringen?«
»Ich weiß nicht.« Ihre Stimme war zittrig, aber sie versuchte, sie unter Kontrolle zu bringen. »Ich kann nicht nach Hause, da fühl ich mich nicht sicher. Zu Jacob und Patty hab ich kein Vertrauen. Vielleicht könnte ich zu meinen Nachbarn, aber falls die
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