Totenverse (German Edition)
ehrlich zu Ihnen sein«, sagte er, »vielleicht tun sie das wirklich. Aber dessen ungeachtet brauchen sie Ihre Hilfe, um Eric zu finden. Vielleicht ist er schuldig, vielleicht auch nicht, aber sie müssen ihn finden. Und Sie wollen ihn doch auch finden.«
Ihre Nasenflügel bebten, aber sie sagte nichts.
»Sobald Sie mit der Polizei gesprochen haben, werde ich versuchen, diesen Hausverwalter aufzuspüren. Soweit wir wissen, könnte dieser Mann –«
Diesmal unterbrach sie ihn. »Es ist wegen Katya, nicht? Katya möchte, dass Sie mich abliefern.«
»Ja«, sagte er. »Sie bekommt Ärger, wenn Sie sich nicht stellen.«
Miriam sank in sich zusammen und sah ihn unglücklich an. »Was ist, wenn ich Ihnen stattdessen etwas anderes gebe?«, sagte sie. »Etwas, das bei den Ermittlungen weiterhelfen könnte? Und Sie versprechen mir dafür, dass Sie mich nicht zwingen, zur Polizei zu gehen?«
»Nein.«
»Ehrlich, es könnte wichtig sein, und wenn Sie mich zur Polizei bringen und die mich festnehmen –«
»Also gut, in Ordnung«, unterbrach er sie.
Sie griff in ihre Jeanstasche und holte ein kleines Plastikteil hervor. »Das habe ich in meiner Handtasche gefunden, als ich aus den Staaten zurückkam«, sagte sie.
»Was ist das?«
»Ich glaube, das ist eine Speicherkarte für ein Handy oder eine Kamera. Ich dachte, sie gehört Eric, aber ich kann mir nicht vorstellen, warum er sie in meine Handtasche gesteckt haben sollte. Ich weiß auch nicht, warum irgendwer sonst das hätte tun sollen, aber mir gehört sie jedenfalls nicht.«
»Was meinen Sie denn, wem sie gehört?«
Sie schilderte ihm, wie sie Mabus im Flugzeug kennengelernt und dann bei Jacob zu Hause herausgefunden hatte, dass Mabus Eric kannte.
»Ist das derselbe Mabus wie der Hausverwalter?«
»Was denken Sie denn?«, entgegnete sie. »So häufig ist der Name ja wohl nicht.« Sie sammelte sich kurz und sprach dann etwas ruhiger weiter. »Ich weiß bloß, dass die drei irgendwie zusammenhängen – Eric, Jacob und Mabus. Könnte doch sein, dass Mabus mir die Speicherkarte in die Handtasche gesteckt hat? Gelegenheit dazu hatte er jedenfalls, weil ich während des Fluges zur Toilette gegangen bin und die Tasche an meinem Platz gelassen habe.«
Nayir nickte nachdenklich.
»Als ich sie gefunden hab«, erklärte Miriam weiter, »habe ich mir nichts dabei gedacht. Aber heute Morgen, als ich gemerkt hab, dass jemand in meiner Wohnung war, kam mir der Gedanke, dass der Eindringling nach irgendwas gesucht hat.« Sie hielt die Speicherkarte hoch. »Das hier ist das Einzige, was dafür infrage kommt. Und wer immer nach der Karte gesucht hat, er hat sie nicht gefunden, weil ich sie bei mir hatte, als ich bei den Nachbarn war.«
»Zeigen Sie mir die Karte«, sagte er. Sie gab sie ihm. Er kramte in der Schreibtischschublade herum, bis er den Konvertierer fand, mit dem Samir Digitalfotos herunterlud. Der Konvertierer hatte mehrere Einführschlitze, und in einen davon passte die Karte. Er schloss das Gerät an den Computer an und wartete.
31
Es hatte mal eine Zeit gegeben, da bedeutete der Mittwochabend Basketballtraining, Schiedsrichterpfeifen, das Quietschen von Turnschuhen auf glänzendem Hallenboden. Das war, bevor das Königreich den organisierten Sport für Mädchen verbot und bevor die Mädchenschule, auf der Katya Chemie unterrichtet hatte, dieses Verbot durchsetzte. Sechs Jahre lang hatte sie das Basketballteam trainiert, und obwohl die Mädchen gegen die Ungerechtigkeit wetterten, nicht bei internationalen Turnieren antreten zu dürfen, weil die Saudis keine Frauen zu den Olympischen Spielen schickten, hatten sie den Sport selbst mit Begeisterung ausgeübt. Sie spielten leidenschaftlich und engagiert, um zu beweisen, dass sie genauso gut waren wie die Jungen. Und in ihren Beschwerden hörte Katya im Grunde den gedämpften Widerhall ihrer Eltern, Immigranten aus Syrien und dem Libanon, die über die saudische Politik entsetzt waren, weil sie sie rückständig und beschämend für den Islam fanden, und die alles dafür gegeben hätten, wenn sie ihr geliebtes Mekka, die heiligste aller Städte, aus dem Machtbereich dieser selbstgerechten Flegel hätten entführen können, deren Glaubensvorstellungen noch immer in den finsteren Zeiten der Beduinen wurzelten.
Das Team war heimlich in ein Frauenzentrum in der Stadt ausgewichen, obwohl es offiziell noch immer illegal war zu spielen. Aber die Hin- und Rückfahrt wurde zum Problem. Weil nur wenige
Weitere Kostenlose Bücher