Totenverse (German Edition)
Mädchen ihre Brüder oder Väter davon überzeugen konnten, sie zu fahren, sank die Zahl der Spielerinnen um drei Viertel, und die wenigen, die weiterhin kommen konnten, schafften es nur unregelmäßig. Schließlich hatte sich das Team aufgelöst.
An diesem Mittwochabend betrat Katya die Wohnung allein – Ayman war zu einem Freund gefahren, um mit ihm zu lernen, und ihr Vater besuchte Abu-Walid. Sie legte ihre Handtasche auf den Küchentisch, holte sich einen Teller mit Resten vom Vortag aus dem Kühlschrank und starrte blicklos den Herd an. Am Abend, nachdem sie sich vor dem Buchladen von Nayir verabschiedet hatte, war ihr eine verspätete Erkenntnis gekommen. Er ist genau wie mein Vater . Wieso hatte sie das nicht schon früher gesehen? Beide Männer waren konservativ. Strenggläubig. Beide verschwiegen ihr Dinge – Abu, der ihr nicht sagte, dass Abu-Walid zum Abendessen kommen würde, und jetzt Nayir, der sich hinter ihrem Rücken mit Miriam Walker traf und es ihr erst anschließend erzählte, und das wahrscheinlich auch nur, weil sie ihn gezwungen hatte. Natürlich, sie selbst hatte ihn überhaupt erst mit in die Ermittlungen hereingeholt, das war ihr rational klar, und Miriam hatte ihn angerufen, weil sie Hilfe brauchte, aber es ärgerte sie trotzdem, dass er sie im Dunkeln gelassen hatte.
Nach dem Essen ging sie in ihr Zimmer. Dort herrschte eine heillose Unordnung, weil sie einfach keine Zeit zum Aufräumen fand. Auf der Kommode standen benutzte Kaffeetassen, schmutzige Wäsche türmte sich auf dem Boden. Das Bett war seit Tagen nicht mehr gemacht und seit Wochen nicht mehr frisch bezogen worden. Sie trat an den Schreibtisch und schaltete den Computer ein. Während das Gerät hochfuhr, schob sie einen Stapel Kartons beiseite, der gefährlich geneigt an der Wand lehnte, und räumte etwas Platz frei für Leilas DVDs, damit keine in dem Durcheinander verloren ging.
Am Nachmittag hatte sie noch mal Faruha angerufen. Die junge Frau hatte versichert, nichts von Pilgerreise zu wissen. Ja, Leila hatte die DVDs bei ihr gelagert, aber sie hatte nie über den neuen Dokumentarfilm oder auch nur über Mabus gesprochen. Immer nur über Eric Walker.
»Sie hat ihn also wirklich gemocht«, hatte Katya gesagt.
Faruha hatte einen Moment gezögert. »Na ja, er war aufregend«, hatte sie schließlich gesagt.
Katya war geneigt zu glauben, dass Faruha die Wahrheit sagte, was den Dokumentarfilm betraf. Wie es um Faruhas Ehrlichkeit bestellt war, was Leilas Gefühle für Eric anging, da war sie sich allerdings nicht so sicher.
Sie wusste nicht mehr, mit welcher sie aufgehört hatte, daher nahm sie wahllos eine DVD und legte sie ins Laufwerk. Die erste Aufnahme zeigte eine Frau, die versuchte, einen Donut durch den Augenschlitz in ihrem Neqab zu schieben. Katya war nicht zum Lachen zumute. Sie sah sich noch etwa ein halbes Dutzend weiterer kurzer Clips an, von denen keiner sonderlich spannend war.
Im neunten Clip tauchte Eric Walker auf. Sie brauchte einen Moment, ehe sie erkannte, wer er war. Es war Nacht, und drei Männer saßen an einem Verandatisch, zwei Araber, ein Amerikaner. Sie tranken aus großen Gläsern, und die Araber sahen nicht gerade glücklich aus. Als einer von ihnen etwas sagte, merkte Katya, dass er betrunken war. Seine Augen sahen aus wie rote in Öl gebratene Zwiebeln. Eric grinste und schüttelte den Kopf. Lallend sagte er etwas in einem seltsamen Mischmasch aus Arabisch und Englisch, das wohl so viel heißen sollte wie: Brauen können sie das Zeug, aber nicht trinken . Und hinter der Kamera lachte Leila kurz und bellend auf. Sie sagte irgendwas auf Englisch, von dem Katya nur einen Namen verstand: »Mr Johnnie Walker!«
Und Walker lachte.
Die nächste Szene zeigte Walker in seiner Wohnung. Katya wurde es eng um die Brust, als sie die schäbige Lampe auf dem Beistelltisch wiedererkannte. Hatte er Leila tatsächlich mit zu sich nach Hause genommen? Die Datumsangabe ließ keinen Zweifel zu: Die Szene war tatsächlich während Miriams Aufenthalt in den Staaten gedreht worden. Walker sprach jetzt Arabisch und beschrieb seine Wohnung in ironisch bombastischem Stil. Er zeigte auf ein Buch, das auf dem Boden lag, und sagte: »Und das da gehört Miriam. Sie kommt in frühestens einundzwanzig Tagen zurück.«
Es war eine taktlose Bemerkung von einem Mann, der in seinem Wohnzimmer mit einer schönen jungen Frau flirtete. Leilas Kamera zoomte das Buch näher heran und schwenkte dann gekonnt wieder auf
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