Totenverse (German Edition)
abwechselnd, dass es nicht dumm von ihm gewesen war, der Polizei das alles zu erzählen, und dass es nicht dumm von ihm gewesen war, der Polizei das alles nicht schon viel früher zu erzählen.
35
Das Taxi bog links in eine schmale Gasse und hielt vor einer riesigen Tür aus Zedernholz. Es war erst ein Uhr, aber der Himmel verdunkelte sich bedrohlich, und der Geruch in der Luft verhieß – unglaublicherweise – Regen.
Ehe sie ausstieg, fragte Miriam den Fahrer: »Sind Sie sicher, dass das Nummer 56 ist?«
Er nickte. »Gehen Sie nur. Ist gut.«
»Und Sie warten hier?«
»Ja.«
Er sah sie nicht an, wandte nicht mal den Kopf in ihre Richtung, und das machte sie nervös, aber sie stieg trotzdem aus und näherte sich der Tür. Das Gebäude war wunderschön, ein Überbleibsel aus der Zeit der osmanischen Besatzung. Weißer Stuck und braune Balken prägten die fensterlose Fassade, und kunstvoll geschnitzte Ziergitter hingen von den Traufen.
Sie läutete. Tief im Innern des Hauses ertönte ein schwaches Klingeln. Das Taxi fuhr weiter die Gasse hinunter, um einen anderen Wagen passieren zu lassen. Sie wartete, bis das Auto vorbei war, um sich zu vergewissern, dass die Rücklichter des Taxis nicht am Ende des Blocks verschwanden.
Zum zehnten Mal warf sie einen Blick auf den Zettel. Nummer 56. Mabus’ Adresse, die Sabria für sie aufgeschrieben hatte. Es kam ihr vor, als wäre das schon eine Ewigkeit her.
Sie läutete erneut. Diesmal hörte sie etwas. Es klang wie ein Ball, der irgendwo runterfällt und ein Stück rollt, bis er gegen eine Wand stößt. Sie spitzte die Ohren, doch das Auto, das an ihr vorbeifuhr, übertönte alles. Noch einmal läutete sie, dann hämmerte sie mit einem alten metallenen Türklopfer gegen die Tür, dass es laut durchs Haus schallte.
Sie drückte kräftig gegen die Tür, die sich einen Spalt weit öffnete.
»Hallo?« Sie blickte die Straße rauf und runter. Weit hinten waren die Rücklichter des Taxis zu sehen, doch ansonsten war alles menschenleer. Sie suchte die Fenster der anderen Häuser ab, hielt nach neugierigen Nachbarn Ausschau. Überall waren die Fensterläden fest geschlossen. Als sie sicher war, dass niemand sie beobachtete, stieß sie die Tür mit dem Fuß auf.
»Hallo! Ich bin’s!«, sagte sie munter und trat ein.
Sie schloss die Tür hinter sich, was sie sogleich bereute. Der Raum war stockfinster. Sie streckte die Arme aus, ertastete eine Stuhllehne, daneben einen Tisch. Ihre Hand stieß gegen einen Türknauf, und sie drehte ihn langsam.
Die Tür öffnete sich nach außen. Dahinter lag ein großer Hof, der unregelmäßig mit mächtigen Platten aus Stein ausgelegt war. Sie überquerte eine kleine Veranda, blieb neben einer der Säulen stehen, die den Bogengang stützten, und blickte nach oben, um sich zu vergewissern, dass niemand sie von den oberen Fenstern aus beobachtete.
Vorsichtig, um nicht über die Steinplatten zu stolpern, bewegte sie sich durch den Hof. Die Luft war kühl und frisch. In einem kleinen Brunnen in der Ecke sprudelte trübes Wasser. Plötzlich hörte sie hinter sich ein Geräusch. Sie verharrte und lauschte. Nichts.
Auf der anderen Seite des Hofes war wieder eine große Tür. Sie öffnete sie, ging hindurch und befand sich erneut in einem dunklen Raum. Sie tastete erfolglos nach einem Lichtschalter und versuchte dann, das Fenster zu öffnen. Es ging nicht, doch daneben bemerkte sie die Umrisse einer Tischlampe. Tastend gelang es ihr, sie anzuknipsen.
In der Mitte des Raumes stand ein Schreibtisch mit einer komplizierten Computeranlage. Ein Bücherregal nahm eine ganze Wand ein. Die Rückseite des Raumes war offen und schien noch tiefer in das dunkle Haus zu führen.
Sie trat an den Schreibtisch und zog die Schubladen auf. Sie suchte nach irgendeinem Hinweis darauf, wohin Mabus und Jacob und Eric bei ihrem Campingausflug gefahren waren. Ganz sicher war Jacob in diesem Moment dahin unterwegs. Er hatte gesagt, sie hatten bei Mabus’ Häuschen in der Wüste campiert. Soweit sie wusste, war das der einzige Ort, an dem die drei gemeinsam gewesen waren.
Die Schubladen waren leer, aber rechts vom Schreibtisch hing eine Pinnwand, und plötzlich geriet Miriams Puls ins Stolpern. Das gleiche Foto, das sie bei Jacob zu Hause gesehen hatte und das die drei Männer in der Wüste zeigte, steckte unten an der Pinnwand. Sie ertrug es kaum, Eric auf dem Foto zu betrachten, aber sie sah ihm an, wie glücklich er war, als das Foto gemacht
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